08.10.2013

220.000 € Schmerzensgeld wegen Darmperforation infolge einer Darmspiegelung nach unzureichender Aufklärung über die Risiken des Eingriffs

Vor Durchführung einer Koloskopie (Darmspiegelung) ist der Patient auch über die selten auftretende Darmperforation konkret aufzuklären; der bloße Hinweis auf "unvermeidbare nachteilige Folgen" wirkt insoweit höchst verharmlosend. Bei komplikationsträchtigem Krankheitsverlauf mit intensivmedizinischer Langzeitbeatmung, mehreren erlittenen Dekubiti, Spitzfußstellung und künstlichem Darmausgang ist ein Schmerzensgeld von 220.000 € angemessen.

OLG Hamm 3.9.2013, 26 U 85/12
Der Sachverhalt:
Der Kläger stellte sich wegen Blutungen im Stuhlgang beim beklagten Facharzt für Chirurgie vor. Der Beklagte führte daraufhin im November 2007 bei dem zu dieser Zeit 48 Jahre alten Kläger eine Koloskopie mit Polypenabtragung durch. In Folge dieses Eingriffs kam es zu einer Darmperforation, die wenige Tage später notfallmäßig operiert werden musste.

Der Kläger erlitt eine Bauchfellentzündung, musste sich weiteren Operationen unterziehen und über Monate intensiv-medizinisch behandelt werden. Er ist nunmehr frühberentet und zu 100 Prozent behindert, ihm musste ein künstlicher Darmausgang gelegt werden. Der Kläger verlangt vom Kläger Schadensersatz. Er ist der Auffassung, er sei über das Risiko einer Koloskopie und über Behandlungsalternativen nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden.

Das LG wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab das OLG der Klage statt und sprach dem Kläger Schadensersatz zu. Das Urteil ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen den Beklagten Anspruch auf Schadensersatz, u.a. 220.000 € Schmerzensgeld. Dessen Höhe ist durch den komplikationsträchtigen Krankheitsverlauf mit einer langen Behandlungszeit und bleibenden Beeinträchtigungen, die schließlich zu einer Frühberentung geführt haben, gerechtfertigt.

Der Beklagte haftet, weil davon auszugehen ist, dass er den Kläger ohne ausreichende Aufklärung behandelt hat. Nach der Einschätzung des im Verfahren gehörten medizinischen Sachverständigen ist eine im Rahmen einer Koloskopie auftretende Darmperforation zwar eine seltene Komplikation. Tritt sie jedoch ein, hat sie überwiegend eine Bauchhöhlenentzündung zur Folge, die lebensbedrohlich sein kann und operativ behandelt werden muss. Deswegen ist über das Risiko einer Perforation aufzuklären.

Dass der Beklagte den Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt hätte, konnte nicht festgestellt werden. Der Inhalt der vom Kläger unterzeichneten Einverständniserklärung lässt nicht auf eine ausreichende Risikoaufklärung schließen. Nach dem vorgedruckten Teil der Erklärung wurde u.a. auf "die mit dem Eingriff verbundenen unvermeidbaren nachteiligen Folgen, mögliche Risiken und Komplikationsgefahren" hingewiesen.

Diese allgemein gehaltene Erklärung ist weithin inhaltslos und wirkt mit dem Hinweis auf "unvermeidbare nachteilige Folgen" verharmlosend. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die Erklärung vom Patienten gelesen, von ihm verstanden oder mit ihm erörtert worden wäre. Ausgehändigte und vom Patienten unterzeichnete Formulare und Merkblätter ersetzten nicht das erforderliche Aufklärungsgespräch. Zudem lassen sie nicht erkennen, dass ein Patient über ein in der Erklärung nicht ausdrücklich erwähntes Risiko informiert wurde.

Eine hinreichende Aufklärung des Klägers wurde auch mit der Aussage der Arzthelferin des Beklagten nicht bewiesen. Von einer mutmaßlichen Einwilligung des Klägers war ebenfalls nicht auszugehen. Der Kläger hat plausible Gründe dafür vorgetragen, dass er sich die Sache im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung noch einmal überlegt, mit einem anderen Arzt oder Verwandten besprochen oder auch eine andere Klinik aufgesucht hätte.

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OLG Hamm PM vom 8.10.2013