Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Keine Entscheidung des Gerichts vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist
BGH 29.11.2016, VI ZB 27/15Das LG wies die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Einstandspflicht wegen angeblicher Behandlungsfehler gerichtete Klage mit Urteil vom 11.2.2015 ganz überwiegend ab. Das Urteil wurde der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 13.2.2015 zugestellt. Am 12.3.2015 legte der nunmehr mandatierte Prozessbevollmächtigte des Klägers Berufung ein. Mit Verfügung vom 20.4.2015 wies das OLG auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hin. Diese Verfügung ging dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22.4.2015 zu.
Am 29.4.2015 übersandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen Antrag auf Wiedereinsetzung und begründete die Berufung. Er trug vor, vom 22. bis 28.4.2015 urlaubsbedingt abwesend gewesen zu sein. Die Fristversäumung beruhe auf dem Versehen seiner zuverlässigen und ansonsten beanstandungsfrei arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten W, die die Berufungsbegründungsfrist nicht in den Fristenkalender eingetragen habe. Dem Wiedereinsetzungsantrag war eine entsprechende eidesstattliche Versicherung der W beigefügt.
Das OLG wies mit Beschluss vom 12.5.2015 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Zur Begründung führte es aus, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unbegründet sei. Der Kläger habe bereits nicht schlüssig dargelegt, dass er ohne ihm zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gehindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.
Gründe:
Art. 103 Abs. 1 GG gebietet i.V.m. den Grundsätzen der ZPO die Berücksichtigung jedes Schriftsatzes, der innerhalb einer gesetzlichen oder richterlich bestimmten Frist bei Gericht eingeht. Danach darf das Gericht über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist entscheiden; dabei ist unerheblich, ob es die Sache für entscheidungsreif hält, weil der Antragssteller innerhalb der Frist zu den Wiedereinsetzungsgründen ergänzend vortragen kann und darf.
Gegen diese Grundsätze hat das OLG verstoßen. Es hat sich in zivilprozessual unzulässiger Weise der Möglichkeit begeben, Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen, da es vor Fristablauf einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beschieden hat. Die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung beträgt nach § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Sie beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers wurde die Verfügung des Berufungsgerichts am 22.4.2015 zugestellt. Selbst wenn man für dessen Kenntnis von der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als Zeitpunkt der Behebung des Hindernisses auf dieses Datum abstellt, war am 12.5.2015 die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO noch nicht abgelaufen. Die Bescheidung des Wiedereinsetzungsantrags war mithin verfrüht.
Dabei kann dahinstehen, ob - wie von der Beschwerde vorgetragen - eine gerichtliche Hinweispflicht bestand, den Kläger auf seinen für unzureichend erachteten Vortrag hinzuweisen. Der Verstoß war entscheidungserheblich, da es nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger seinen Vortrag zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags bis zum Fristablauf hinreichend ergänzt hätte.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.