28.11.2011

Anwalt muss bei Anweisung zur erneuten Bearbeitung von Fristsachen durch Kanzleikräfte keine Einzelanweisung zur Wiedervorlage treffen

Werden einem Anwalt die Akten im sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt und gibt er zur Vorbereitung des von ihm zu fertigenden fristwahrenden Schriftsatzes noch Anweisungen an sein Personal, die eine erneute Bearbeitung im Kanzleibetrieb erfordern, kann er sich darauf verlassen, dass ihm die Akten vor Ablauf der im Bürokalender eingetragenen Frist wieder vorgelegt werden. Besonderer Anweisungen, um die erneute Aktenvorlage sicherzustellen, bedarf es im Allgemeinen nicht.

BGH 13.10.2011, VII ZB 18/10
Der Sachverhalt:
Die Nebenintervenientin der Klägerin legte gegen das am 16.11.2009 zugestellte Urteil des LG, mit dem die Klage abgewiesen worden war, am 16.12.2009 Berufung ein und erklärte gleichzeitig ihren Beitritt als Nebenintervenientin. Eine Berufungsbegründung ging innerhalb der am 18.1.2010 endenden Berufungsbegründungsfrist nicht ein. Auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wurde die Nebenintervenientin mit gerichtlicher Verfügung vom 21.1.2010 hingewiesen. Mit Schriftsatz vom 29.1.2010 beantragte die Nebenintervenientin, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

Sie trug dazu vor, dass die mit Fristsachen beauftragte, langjährige, zuverlässige Bürovorsteherin der Prozessbevollmächtigten der Nebenintervenientin versehentlich weder die Berufungsbegründungsfrist noch deren Vorfrist eingetragen habe, obwohl sie die Fristen und ihre Eintragung in den Fristenkalender handschriftlich auf der Handakte und dem Landgerichtsurteil vermerkt habe.

Rechtsanwalt G, der Prozessbevollmächtigte der Nebenintervenientin, habe die Handakte zusammen mit den Gerichtsakten am 11.1.2010 zur Vorbereitung einer Besprechung mit der Mandantin vorgelegt bekommen und am 12.1.2010 die Fertigung von Kopien aus der Gerichtsakte und die anschließende Wiedervorlage der Handakte verfügt. Wegen des umfangreichen Jahresanfangsgeschäfts seien die Kopien erst am 20.1.2010 gefertigt und die Gerichtsakte zurückgesandt worden. Anschließend sei G die Handakte vorgelegt worden, der die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist festgestellt habe. Hierzu legte die Nebenintervenientin eine eidesstattliche Versicherung der Bürovorsteherin der Kanzlei vor.

Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufungsbegründung gingen am 1.2. 2010 beim OLG ein. Dieses versagte die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwarf die Berufung als unzulässig. Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Nebenintervenientin hob der BGH die Beschlüsse des OLG auf, gewährte der Nebenintervenientin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat der Nebenintervenientin der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig war damit gegenstandslos.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH ist der Anwalt zwar zur eigenständigen Fristenkontrolle, nicht aber zur Überprüfung der Eintragung dieser Fristen in den Fristenkalender verpflichtet. Diese Aufgabe kann er durch eindeutige Anweisungen seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal übertragen. Das Verhalten von G am 12.1.2010 im Zusammenhang mit der Anweisung der Fertigung von Kopien aus der Gerichtsakte begründet demnach keinen Verschuldensvorwurf.

Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin hatte G die Fertigung von einzelnen Kopien aus der Gerichtsakte verfügt und sie angewiesen, ihm die Handakte nach Erledigung umgehend wieder vorzulegen. Trotz des aus den Akten unschwer erkennbaren Fristablaufs der Berufungsbegründung am 18.1.2010 durfte sich der Anwalt auf die rechtzeitige Wiedervorlage der Akte verlassen, ohne hierzu weitergehende konkrete Einzelanweisungen zur Wiedervorlage zu machen. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf verlassen, dass das von ihm ausreichend geschulte und überwachte Personal die Einhaltung der im Fristenkalender notierten Fristen beachtet und die Akten rechtzeitig vorlegt.

Auch wenn dem Anwalt die Akte im sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird und er zur Vorbereitung des von ihm zu fertigenden fristwahrenden Schriftsatzes noch Anweisungen an sein Personal gibt, die es erfordern, dass die Akte (z.B. zur Fertigung von Kopien) noch einmal in den Kanzleibetrieb geht, muss er keine Einzelanweisungen oder sonstige Vorkehrungen treffen, dass ihm die Akte nach Erledigung sofort und rechtzeitig vor Ablauf der Frist wieder vorgelegt wird.

Der Anwalt darf sich auch in diesem Fall auf das Funktionieren seiner Maßnahmen zur Büroorganisation und damit auf die rechtzeitige erneute Vorlage aufgrund der im Fristenkalender notierten Frist verlassen, ohne dass er hierzu konkrete Einzelanweisungen zur sofortigen Wiedervorlage nach Erledigung treffen müsste, falls keine Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, die zur Fristenwahrung getroffenen Maßnahmen könnten versagen.

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