Anwaltliches Organisationsverschulden: Fristeingabe in elektronischen Fristenkalender muss durch Ausdruck kontrolliert werden
BGH v. 28.2.2019 - III ZB 96/18Der Antragsteller wendet sich gegen die Belastung ihm gehörender Grundstücke mit einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit zu Gunsten der Antragsgegnerin. Mit dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 16.2.2018 zugestelltem Urteil wies das LG dessen Anträge auf gerichtliche Entscheidung zurück. Hiergegen legte er fristgemäß Berufung ein. Die Berufungsbegründung ging erst am 27.4.2018 beim OLG ein.
Der Antragsteller beantragte, ihm wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat er unter Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten G vorgetragen, eine Überprüfung habe ergeben, dass zwar die Berufungsbegründungsfrist zutreffend mit der Vorfrist in der Handakte seines Prozessbevollmächtigten eingetragen worden sei und die ansonsten zuverlässige vorgenannte Angestellte die Eintragung im elektronischen Fristenkalender durch Abzeichnung mit Kürzel bestätigt habe, jedoch die Berufungsbegründungsfrist und die Vorfrist nicht im Fristenkalender der verwendeten Software gespeichert gewesen seien. G sei angewiesen worden, die Berufungsfristen mit rotem Stift unter Angabe des Fristgrundes, einer Vorfrist für Berufung und Berufungsbegründung von jeweils zwei Wochen und der Fristabläufe in die Innenseite der Handakte einzutragen. Anschließend erfolge die Eintragung im elektronischen Fristenkalender. Danach sei die Eintragung durch Abzeichnung mit Kürzel auf der Handakte zu bestätigen. Die Mitarbeiterinnen seines Prozessbevollmächtigten seien angewiesen, die Abzeichnung erst vorzunehmen, nachdem man sich vergewissert habe, dass Frist und Vorfrist ordnungsgemäß im Kalender gespeichert seien.
Der Antragsteller hat weiter vorgetragen, durch das Dialogfeld "Eingabekontrolle" der Software erfolge programmseitig durch das automatisierte Auslesen aller zur Akte gespeicherten Fristen die durch den BGH geforderte Fehlerkontrolle. In der Eingabemaske "Eingabekontrolle" seien sämtliche zu der betreffenden Akte im elektronischen Fristenkalender gespeicherten Fristen aufgelistet. Dies ermögliche die Kontrolle der Eingabe und Abspeicherung der Fristen, da nach dem Bestätigen durch Anklicken des grünen Hakens die Software die abgespeicherten und eingetragenen Fristdaten aktuell auslese und sich damit programmseitig nachvollziehen lasse, dass die Eingabe im elektronischen Fristenkalender entsprechend verarbeitet und gespeichert worden sei. Sei also eine abgespeicherte Frist in der Programmmaske "Eingabekontrolle" aufgeführt, so sei sichergestellt, dass diese auch im elektronischen Fristenkalender eingetragen und abgespeichert sei. Die Mitarbeiterinnen seines Prozessbevollmächtigten seien angewiesen, die korrekte Speicherung des Fristbeginns, des Fristablaufs und des Fristgrundes in der entsprechenden Akte und in der Programmmaske "Eingabekontrolle" zu kontrollieren und die Eintragung durch Abzeichnung mit Kürzel auf der Handakte erst nach Kontrolle des Dialogfeldes "Eingabekontrolle'' zu bestätigen.
Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG hat die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht abgelehnt, weil ein dem Antragsteller zuzurechnendes (§ 85 Abs. 2 ZPO) Verschulden seines Prozessbevollmächtigten vorliegt.
Die Verwendung einer elektronischen Kalenderführung darf keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten. Bei der Eingabe von Fristen in den elektronischen Fristenkalender bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten. Dazu zählen nicht nur Datenverarbeitungsfehler der EDV, sondern auch Eingabefehler, insbesondere durch Vertippen. Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt, der laufende Fristen in einem elektronischen Fristenkalender erfasst, durch geeignete Organisationsmaßnahmen die Kontrolle der Fristeingabe gewährleisten muss. Dies kann durch einen Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls erfolgen. Werden die Eingaben in den EDV-Kalender nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls durch das Programm kontrolliert, ist darin nach BGH-Rechtsprechung ein anwaltliches Organisationsverschulden zu sehen. Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist erforderlich, um Datenverarbeitungs- und Eingabefehler rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen. Eine solche Anweisung bestand vorliegend nicht.
Die nach der Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers praktizierte automatisierte programmseitige Eingabekontrolle ist nicht gleich effektiv und sicher wie eine Kontrolle anhand eines Papierausdrucks. Sie erfolgt ausschließlich EDV-gestützt über die Einsichtnahme in die im Dialogfeld "Eingabekontrolle" auf dem Bildschirm angezeigten Daten. Eine solche Kontrolle ist deutlich anfälliger insbesondere für ein sog. Augenblicksversagen der mit ihr beauftragten Mitarbeiter als eine Kontrolle mittels eines Ausdrucks. Der Büroalltag dieser Personen ist geprägt durch zahlreiche Arbeitsvorgänge, die in kurzer Abfolge zu erledigen sind. Nicht selten müssen sie wegen anderer vordringlicher Aufgaben oder Aufträge unterbrochen werden. Dies birgt die Gefahr, dass eine Aufgabe und der Stand ihrer Erledigung, etwa wenn sie begonnen, aber unterbrochen wurde, in Vergessenheit geraten bzw. irrig als vollständig erledigt erinnert werden. Eine solche Gefahr besteht in erhöhtem Maße, wenn die Aufgabe in zwar mehrstufigen, aber ausschließlich EDV-gestützten und jeweils nur kurze Zeit benötigenden Arbeitsschritten am Bildschirm durchzuführen ist.
Dies gilt auch für die nach Anweisung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gehandhabte Verfahrensweise bei der Eintragung von Fristen in den elektronischen Kalender. Wird etwa nach Eingabe einer Frist in dem entsprechenden Dialogfeld versehentlich nicht das Bestätigungsfeld (grüner Haken), sondern das unmittelbar daneben liegende Feld mit der Kennzeichnung "X" betätigt, sind die ordnungsgemäße Speicherung der Frist und ihre Kontrolle nicht sichergestellt. Ein solches "Augenblicksversagen" ist nicht nur theoretischer Natur, sondern liegt im Rahmen des Büroalltages im Bereich des durchaus Naheliegenden, etwa wenn nach einer Unterbrechung der Fristeintragung ihr Bearbeitungsstand in Vergessenheit geraten ist und der Eingabedialog mit dem Eingabekontrolldialog verwechselt wird. Sieht die Arbeitsanweisung des Rechtsanwalts dagegen vor, bei Eintragung von Fristen in einen elektronischen Fristenkalender stets einen Kontrollausdruck zu fertigen, besteht eine erheblich geringere Gefahr einer unvollständigen und nicht kontrollierten Fristeingabe.
Nur der durch den Ausdruck herbeigeführte - in vorliegendem Zusammenhang sinnvolle - "Medienbruch" zwischen Eingabe am Bildschirm und Kontrolle mittels eines Ausdrucks gewährleistet mithin ein hohes Maß an Sicherheit in Bezug auf eine zutreffende Fristeingabe und -speicherung. Dieses erforderliche Kontrollniveau wird seitens der vom Antragsteller beschriebenen rein elektronischen Fristeingabe und Eingabekontrolle ohne "Medienbruch" nicht erreicht. Die in kürzester Zeit nacheinander in demselben Medium (Bildschirm) durchführbare Fristeingabe und Eingabekontrolle birgt vielmehr, wie ausgeführt, eine erhöhte Fehleranfälligkeit. Diese ist letztlich die Kehrseite des von der Rechtsbeschwerde genannten erleichterten Kontrollaufwandes. Den Anforderungen, die an die Überprüfungssicherheit einer elektronischen Kalenderführung zu stellen sind, wird auf diese Weise nicht genügt.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.