Auch als Vollmacht überschriebene Schriftstücke können Testamente sein
OLG Hamm 11.5.2017, 10 U 64/16Die Klägerin ist die Nichte der Beklagten. Die Beklagte, die Mutter der Klägerin und die im Juni 2014 im Alter von 64 Jahren verstorbene Erblasserin sind bzw. waren Schwestern. In einem als "Testament" überschriebenen Schriftstück bestimmte die Erblasserin im Juni 2013, dass sie ihren Schwestern nach ihrem Tode das Elternhaus in Paderborn je zur Hälfte übertrage.
In zwei wenige Tage später im Juni 2013 datierten und mit "Vollmacht" überschriebenen Schriftstücken erteilte die Erblasserin der Klägerin Vollmacht,
"über meinen Bausparvertrag bei der Bausparkasse über meinen Tod hinaus, zu verfügen und sich das Guthaben auszahlen zu lassen" und
"über sämtliches Vermögen, welches bei der Volksbank auf meinem Girokonto und Ersparnissen (Sparbuch, Geldanlagen) besteht, über meinen Tod hinaus, zu verfügen".
Beim Tode der Erblasserin belief sich das Guthaben auf den Konten bei der Volksbank und auf dem Bausparvertrag auf zusammen rd. 63.400 €. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Erblasserin die Beklagte und die Mutter der Klägerin in dem als "Testament" überschriebenen Schriftstück zu hälftigen Miterben bestimmt hat, weil das Hausgrundstück in Paderborn das wesentliche Vermögen der Erblasserin darstellte. Einen entsprechenden Erbschein stellte das Nachlassgericht im Oktober 2014 aus.
Umstritten ist zwischen den Beteiligten, ob die weiteren Schriftstücke der Erblasserin aus dem Juni 2013 ebenfalls testamentarische Anordnungen beinhalten. Die Klägerin hat gemeint, die Erblasserin habe ihr die Guthaben als Vermächtnisse zugewandt, bei den beiden Schriftstücken handele es sich nicht um bloße Vollmachten, sondern um Testamente. Während die Mutter der Klägerin ihren Vermächtnisanspruch anerkannt und der Klägerin ca. 31.700 € ausgezahlt hat, hat die Beklagte eine Zahlung verweigert und die Auffassung vertreten, die Erblasserin habe der Klägerin lediglich Vollmachten erteilt und ihr keine Vermächtnisse zugewandt.
Das LG gab der auf Erfüllung des Vermächtnisses gerichteten Klage statt. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Erblasserin hat der Klägerin ihre Guthaben bei der Volksbank und der Bausparkasse im Rahmen von Vermächtnissen zugewiesen.
Die beiden mit "Vollmacht" überschriebenen Schriftstücke der Erblasserin stellen rechtswirksam errichtete privatschriftliche Testamente dar. Sie sind von der Erblasserin eigenhändig geschrieben und unterschrieben worden und erfüllen so die formalen gesetzlichen Anforderungen an ein privatschriftliches Testament. Dass sie mit "Testament" oder "mein letzter Wille" überschrieben sind, ist nicht erforderlich, weil sie auf einem ernstlichen Testierwillen beruhen. Die Erblasserin hat sie als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen und wollte der Klägerin nicht lediglich eine Verfügungsbefugnis erteilen. Hiervon ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme auszugehen.
Zwar hat die Erblasserin die Schriftstücke mit "Vollmacht" überschrieben. Sie hat die Schriftstücke aber nicht bei den genannten Banken verwahrt, sondern gemeinsam mit dem wenige Tage zuvor errichteten Testament in ihrer Wohnung hinterlegt. Ihr Einsatz im Rechtsverkehr war aus Sicht der Erblasserin auch nicht notwendig, nachdem sie ihrer Schwester, der Mutter der Klägerin, bereits postmortale Vollmachten für die Bankkonten erteilt hat. Die Mutter der Klägerin hat als Zeugin zudem glaubhaft bekundet, dass die Erblasserin sie und nicht (auch) die Klägerin als ihre Bevollmächtigte angesehen hat.
Dass die Erblasserin die beiden Schriftstücke nicht als "Testament" und auch nicht als ihren "letzten Willen" bezeichnet hat, spricht nicht entscheidend gegen ihren Testierwillen. Auch der Text ihres zuvor errichteten Testaments lässt erkennen, dass sich die Erblasserin mit den üblichen Formulierungen letztwilliger Verfügungen nicht ausgekannt hat.
Vor diesem Hintergrund sind die beiden Schriftstücke so aufzufassen, dass die Erblasserin der Klägerin ihre auf den Konten bestehenden Guthaben als Vermächtnisse zuwenden wollte. Dabei hat sie mangels juristischer Beratung gemeint, dies geschehe bei den Forderungen gegen eine Bank dadurch, dass sie postmortale Vollmachten ausstellt. Die Formulierungen in dem Text, die Klägerin solle sich die Guthaben auszahlen lassen, spricht für eine Zuwendung, so auch die Formulierung, dass sie die Zuwendung behalten solle. In diesem Sinne hat die Erblasserin auch das Schriftstück aufgefasst, in dem nicht zusätzlich erwähnt ist, dass sich die Klägerin das Guthaben auszahlen lassen könne.