07.12.2017

Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung

Das Gericht des zulässigen Rechtswegs entscheidet gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz den Rechtsstreit grundsätzlich unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten und damit auch über eine zur Aufrechnung gestellte rechtswegfremde Gegenforderung, es sei denn, diese Entscheidung erwächst nach § 322 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft. Zu einer Rechtskrafterstreckung kommt es nicht, wenn die Aufrechnung durch das Finanzamt gegenüber dem (früheren) Zedenten erklärt wurde und dieser am Klageverfahren der (späteren) Zessionarin nicht beteiligt ist.

Kurzbesprechung
BFH v. 1.8. 2017 - VII R 12/16

GVG § 17 Abs. 2
AO § 226
ZPO § 322 Abs. 2

Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Dies umfasst grundsätzlich auch die Entscheidung über eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung gemäß § 226 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB. Handelt es sich jedoch wie im Streitfall um eine zivilrechtliche und damit rechtswegfremde Forderung (das FA hatte einen Erstattungsbetrag mit einer Regressforderung des Landes aus einer Landesbürgschaft aufgerechnet), gilt der Grundsatz des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht uneingeschränkt.

Verfahrensrechtliche Probleme, die die materiell-rechtliche Zulässigkeit der Aufrechnung indes nicht hindern, kann die Aufrechnung mit einer Gegenforderung, für die ein anderer Rechtsweg als für die Klageforderung gegeben ist, aufwerfen, wenn diese   wie im Streitfall   nicht rechtskräftig festgestellt ist und vom Steuerpflichtigen bestritten wird. Denn nach § 322 Abs. 2 ZPO ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrags, für den die Aufrechnung geltend gemacht ist, der materiellen Rechtskraft fähig. Es besteht somit die Gefahr, dass ein an sich nicht zuständiges Gericht mit Bindungswirkung gegenüber den nach der Rechtswegzuweisung entscheidungsbefugten Gerichten über das Nichtbestehen der zur Aufrechnung gestellten Forderung entscheidet.

Auch wenn im Streitfall das FA die Aufrechnung gegenüber dem Ehemann der Steuerpflichtigen in einem Zeitpunkt erklärt hat, in dem dieser noch selbst Inhaber der Einkommensteuererstattungsansprüche aus den Jahren 2003 und 2004 war, ist die Situation doch derjenigen des § 406 BGB insofern vergleichbar, als der Ehemann der Steuerpflichtigen nicht am finanzgerichtlichen Verfahren beteiligt ist und eine Entscheidung in diesem Klageverfahren ihm gegenüber keine Rechtskraft erlangt. Daher greift eine Entscheidung des FG über das Bestehen der rechtswegfremden Forderung nicht in die Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichte ein. Vielmehr handelt es sich dabei lediglich um eine Vorfrage zur Aufrechnung, die von der Entscheidungsbefugnis des FG gemäß § 17 Abs. 2 GVG umfasst ist.

Weiterhin war die Entscheidungsbefugnis des FG auch nicht nach § 226 Abs. 3 AO eingeschränkt, weil diese Regelung nur für die Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen gilt. Das FA hatte gemäß § 226 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB gegenüber dem Ehemann der Steuerpflichtigen wirksam die Aufrechnung mit Regressforderungen des Landes  aus einer Landesbürgschaft erklärt. Auch bestanden keine Aufrechnungsverbote.

Die fortbestehende Rechtsnatur des übergeleiteten Anspruchs aus der Rückbürgschaft als zivilrechtlicher Anspruch steht seiner Aufrechnung gegenüber den Steuererstattungsansprüchen nicht entgegen. Die Aufrechnung mit zivilrechtlichen Ansprüchen gegen öffentlich-rechtliche Ansprüche und umgekehrt ist daher grundsätzlich zulässig.

BFH, Urteil vom 1.8.2017, VII R 12/16, veröffentlicht am 6.12.2017.

Verlag Dr. Otto Schmidt