Augenarzt muss nach fehlerhafter Behandlung kein Blindengeld erstatten
OLG Hamm 9.9.2016, 26 U 14/16Der heute 47-jährige Patient hatte sich in den Jahren 2006 und 2007 vom beklagten Augenarzt wegen Augenschmerzen und Dunkelsehen behandeln lassen. Der Beklagte diagnostizierte eine Bindehautentzündung, die er mit Augentropfen behandeln ließ. Eine weitere diagnostische Abklärung im Hinblick auf einen grünen Star unterblieb, obwohl die Beschwerden fortbestanden. Ende 2007 suchte der Patient deshalb eine andere Augenarztpraxis auf, in der ein fortgeschrittener grüner Star an beiden Augen diagnostiziert wurde. Trotz durchgeführter Operationen verlor der Patient seine Sehschärfe, erlitt eine Gesichtsfeldeinengung und ist heute so gut wie blind. Vom klagenden Landschaftsverband bezieht er seit 2009 Blindengeld.
Ausgehend von einer grob fehlerhaften Behandlung durch den Beklagten regulierte dessen ärztliche Haftpflichtversicherung die Schadensersatzansprüche des Patienten mit einer Abfindung i.H.v. 475.000 €. Als Sozialhilfeträger verlangte der Kläger vom Beklagten die Erstattung des an den Patienten im Jahr 2009 gezahlten Blindengeldes i.H.v. rund 30.000 € und die Feststellung, dass der Beklagte dem Kläger auch weitere Blindengeldzahlungen zu ersetzen hat. Der Kläger war der Ansicht, dass insoweit ein Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X stattgefunden habe.
Das LG gab der Klage vollumfänglich statt. Auf die Berufung des Beklagten hob das OLG die Entscheidung auf und wies die Klage ab. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Revision des Klägers ist beim BGH unter dem Az. VI ZR 454/16 anhängig.
Die Gründe:
Ein Anspruch nach §§ 116 Abs. 1 S. 1 SGB i.V.m. 280 Abs. 1, 611 BGB war nicht begründet.
Der in § 116 Abs. 1 SGB X geregelte gesetzliche Forderungsübergang setzt eine sachliche Kongruenz zwischen der Ersatzpflicht des Schädigers und der Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers voraus, die nach obergerichtlicher Rechtsprechung dann vorliegt, wenn die Leistung des Sozialhilfeträgers und der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz dem Ausgleich derselben Einbuße des Geschädigten dienen. Eine solche Kongruenz bestand zwischen dem Blindengeld und dem Schadensersatzanspruch des Patienten, der auch den Ausgleich von durch die Erblindung entstandenen Mehraufwendungen umfasste, jedoch nicht.
Das auf der Grundlage des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose gezahlte Blindengeld wird unabhängig von Einkommens- und Vermögensverhältnissen und auch von einer Erforderlichkeit auf Seiten des Blinden pauschal gezahlt. Es soll Nachteile der Behinderung mildern, die Teilhabe am Leben der Gesellschaft ermöglichen und ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben erleichtern sowie die Pflegbedürftigkeit vermeiden oder zumindest vermindern. Es wird abstrakt berechnet und nimmt für sich gar nicht in Anspruch, jeglichen Mehraufwand abzudecken. Beim zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch, auf den der gesetzliche Forderungsübergang anzuwenden ist, wird demgegenüber nach haftungsrechtlichen Gesichtspunkten allein auf den tatsächlich entstandenen blindheitsbedingt entstandenen Mehrbedarf abgestellt.
Im Fall eines Anspruchsübergangs würde der Blinde zudem schlechter gestellt, weil er vom Schädiger nur die über das gezahlte Blindengeld hinausgehenden Mehraufwendungen ersetzt verlangen könnte und Aufwendungen in dieser Höhe zunächst auch schlüssig darlegen müsste. Dass er auch nicht "doppelt" entschädigt wird, regelt das Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose dadurch, dass er sich gezahlte Entschädigungsleistungen wegen Mehraufwendungen auf das Blindengeld anrechnen lassen muss.
Linkhinweis:
-
Der Volltext des Urteils ist erhältlich unter www.nrwe.de - Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW.
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.