05.10.2012

Ausgleichsleistungen wegen Nichtbeförderung von Fluggästen nicht nur bei Fällen der Überbuchung

Fluggäste aufeinander folgender Flüge haben Anspruch auf Ausgleichsleistungen wegen Nichtbeförderung, wenn diese auf eine vom Luftfahrtunternehmen zu vertretende Verspätung des ersten Flugs zurückzuführen ist. Hierunter fallen nicht nur Fälle der Nichtbeförderung wegen Überbuchung, sondern auch solche der Nichtbeförderung aus anderen - etwa betrieblichen - Gründen.

EuGH 4.10.2012, C-321/11
Der Sachverhalt:
Die Kläger kauften bei der beklagten Fluggesellschaft Iberia einen Flugschein von A Coruña (Spanien) nach Santo Domingo. Dieser Flugschein wies zwei Flüge aus: den Flug A Coruña - Madrid und den Flug Madrid - Santo Domingo. Die Kläger gaben ihr Gepäck am Schalter der Beklagten auf dem Flughafen von A Coruña direkt bis zu ihrem Endziel auf und erhielten die Bordkarten für die beiden aufeinander folgenden Flüge.

Der erste Flug verspätete sich um eine Stunde und 25 Minuten. Die Beklagte ging daher davon aus, dass die Kläger ihren Anschlussflug versäumen würden und annullierte die Bordkarten für den zweiten Flug. Trotz der Verspätung erschienen die Kläger bei ihrer Ankunft in Madrid zu dem Zeitpunkt am Flugsteig, als der letzte Aufruf der Gesellschaft an die Fluggäste erfolgte; das Personal der Beklagten verweigerte ihnen jedoch die Beförderung mit der Begründung, ihre Bordkarten seien annulliert und ihre Plätze anderen Fluggästen zugewiesen worden. Am folgenden Tag wurden die Kläger mit einem anderen Flug nach Santo Domingo befördert; sie erreichten ihr Endziel mit 27 Stunden Verspätung.

Die Kläger erhoben bei den spanischen Gerichten Klage auf Verurteilung der Fluggesellschaft, ihnen jeweils die Ausgleichszahlung i.H.v. 600 € zu leisten, die in der Verordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste bei außergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 3.500 km vorgesehen ist. Die Beklagte habe ihnen die Beförderung ohne triftigen Grund verweigert. Die Beklagte ist der Meinung, es liege keine Nichtbeförderung vor, sondern ein versäumter Anschlussflug - dieser habe keine Ausgleichsleistung zur Folge, da die Entscheidung, ihnen die Beförderung zu verweigern, nicht auf eine Überbuchung, sondern auf die Verspätung des vorhergehenden Flugs zurückzuführen sei.

Das nationale Gericht möchte in diesem Zusammenhang vom EuGH wissen, ob sich der Begriff "Nichtbeförderung" ausschließlich auf Fälle bezieht, in denen Flüge von Anfang an überbucht sind, oder ob dieser Begriff darüber hinaus auf andere Fälle erstreckt werden kann.

Die Gründe:
Der Begriff "Nichtbeförderung" bezieht sich nicht nur auf Fälle der Überbuchung, sondern auch auf Fälle der Nichtbeförderung aus anderen - etwa betrieblichen - Gründen.

Diese Auslegung ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Verordnung als auch aus dem mit ihr verfolgten Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Der Unionsgesetzgeber hat 2004 eine neue Regelung eingeführt, mit der die Bedeutung des Begriffs der Nichtbeförderung erweitert wurde. Demnach sind sämtliche Fälle erfasst, in denen ein Luftfahrtunternehmen einem Fluggast die Beförderung verweigert. Eine Beschränkung des Begriffs "Nichtbeförderung" allein auf die Fälle der Überbuchung würde zu einer deutlichen Einschränkung des Schutzes der Fluggäste führen, selbst wenn sie für die mit der Überbuchung vergleichbare Situation nicht verantwortlich sind.

Allerdings sieht die Verordnung Ausnahmen vor, in denen eine Nichtbeförderung gerechtfertigt ist, etwa aus Gründen der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder wegen unzureichender Reiseunterlagen. Eine Nichtbeförderung wie die im vorliegenden Fall kann jedoch nicht mit diesen Gründen gleichgesetzt werden, weil die Ursache für die Verweigerung der Beförderung nicht den Klägern zuzurechnen ist. Vielmehr ist die Weigerung eindeutig von der Beklagten zu vertreten. Diese hat entweder die Verspätung des ersten Flugs zu verantworten oder irrig angenommen, die Fluggäste könnten sich nicht rechtzeitig am Flugsteig des Anschlussflugs einfinden, oder aber Flugscheine für aufeinander folgende Flüge verkauft, bei denen die Transferzeit nicht ausreichte.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass ein Luftfahrtunternehmen den Kreis der Fälle, in denen es berechtigt wäre, einem Fluggast die Beförderung zu verweigern, nicht erheblich erweitern kann, weil dies dem mit der Verordnung verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde. Eine Nichtbeförderung aus betrieblichen Gründen ist nicht gerechtfertigt und löst die Rechte gemäß der Verordnung aus.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 125 vom 4.10.2012
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