10.11.2017

Aussetzungszinsen bei übereinstimmender Erledigungserklärung

Eine Anfechtungsklage ist im Falle der übereinstimmenden Erledigungserklärung auch dann mit Eingang der zweiten Erledigungserklärung oder mit Eintritt der Fiktion des § 138 Abs. 3 FGO endgültig i.S. des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO erfolglos, wenn der angefochtene Bescheid später auf Grundlage einer tatsächlichen Verständigung geändert wird.

Kurzbesprechung
BFH v. 14.6. 2017 - I R 38/15

AO § 169 Abs. 1 Satz 1, § 237 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 238 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2, § 239 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 5

Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt, der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt oder ändert, oder gegen eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen. Für den Zinslauf bestimmt § 237 Abs. 2 AO, dass Zinsen vom Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird, oder vom Tag der Rechtshängigkeit beim Gericht an bis zum Tag, an dem die AdV endet, erhoben werden. Ist die Vollziehung erst nach dem Eingang des außergerichtlichen Rechtsbehelfs oder erst nach der Rechtshängigkeit ausgesetzt worden, so beginnt die Verzinsung mit dem Tag, an dem die Wirkung der AdV beginnt. Zinsen sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer Ansatz (§ 238 Abs. 1 Satz 2 AO).

Gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO beträgt die Frist zur Festsetzung von Zinsen ein Jahr. Sie beginnt in den Fällen des § 237 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO). Der BFH ließ offen, ob jede Art der Erledigung eines Rechtsbehelfs - etwa auch im Fall einer während der laufenden Einspruchsfrist erfolgten Einspruchsrücknahme - zu dessen endgültiger Erfolglosigkeit führt. In jedem Fall ist eine Anfechtungsklage nicht nur dann endgültig erfolglos, wenn sie durch unanfechtbare gerichtliche Entscheidung abgewiesen worden ist, sondern auch in Fällen, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklären.

Der BFH hat nun entschieden, dass dies auch dann gilt, sofern der angefochtene Bescheid im Anschluss an eine übereinstimmende Erledigungserklärung auf Grundlage einer tatsächlichen Verständigung geändert wird; eine endgültige Erfolglosigkeit i.S. des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO liegt nicht erst dann vor, wenn die geänderte Steuerfestsetzung bestandskräftig geworden ist.

Denn mit dem Eingang der Erledigungserklärungen der Beteiligten bei Gericht findet das Klageverfahren in der Hauptsache sein Ende. Die Erledigungserklärungen sind konstitutiv, d.h. sie führen unmittelbar zur Beendigung des Rechtsstreits; ein gerichtlicher Ausspruch hierüber ist nicht erforderlich. Das Gericht darf nicht prüfen, ob die Hauptsache tatsächlich erledigt ist. Es hat nur noch durch Beschluss über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Daraus folgt, dass die angefochtene Steuerfestsetzung - ebenso wie bei einer Entscheidung durch Urteil - im Zeitpunkt der Abgabe der zweiten Erledigungserklärung oder dem Eintritt der Fiktion des § 138 Abs. 3 FGO unanfechtbar wird.

Wird der Rechtsstreit ohne vorherige Änderung des angefochtenen Bescheids übereinstimmend für erledigt erklärt, steht mit Abgabe der Erledigungserklärungen der geschuldete - und damit nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsende - Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, bestandskräftig fest. Eine nachfolgende Änderung des angefochtenen Bescheids - sei sie auch im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung vereinbart - ist dabei unbeachtlich. Eine verständigungswidrige Nichtbeachtung führt lediglich zu einem rechtswidrigen Steuerbescheid.

Da im Verfahren gegen den Zinsbescheid grundsätzlich aber keine Umstände berücksichtigt werden können, die gegen die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Steuerfestsetzung sprechen, ändert selbst eine tatsächliche Verständigung nichts daran, dass durch eine beidseitige Erledigungserklärung der angefochtene Bescheid formell bestandskräftig geworden ist und die Klage erfolglos war. Eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung nach Beendigung des Klageverfahrens muss daher aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Anordnung in § 237 Abs. 5 AO unberücksichtigt bleiben.

BFH, Urteil vom 14.6.2017, I R 38/15, veröffentlicht am 08.11.2017.

Verlag Dr. Otto Schmidt