21.12.2017

Beginn der Festsetzungsfrist bei Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung

Fordert das FA den Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung auf, so ist er gemäß § 149 Abs. 1 Satz 2 AO hierzu gesetzlich verpflichtet mit der Folge, dass sich der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO richtet.

Kurzbesprechung
BFH v.4.10. 2017 - VI R 53/15

AO § 149 Abs. 1 Satz 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1

Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung, Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Entstehen der Steuer folgt.

Eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung wird auch dann begründet, wenn das FA den Steuerpflichtigen nach § 149 Abs. 1 Satz 2 AO auffordert, eine Steuererklärung abzugeben. Die Rechtslage bestimmt sich in solchen Fällen nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Aber auch eine gesetzeskonkretisierende Aufforderung zur Einreichung von Unterlagen stellt einen Verwaltungsakt dar. Denn das für die Unterscheidung zwischen einem Verwaltungsakt und einer bloßen Vorbereitungshandlung maßgebliche Kriterium ist im Steuerrecht die Erzwingbarkeit einer Maßnahme nach den Vorschriften der §§ 328 ff. AO.

Die abstrakte Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen kann nicht bereits als solche mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden; sie bedarf vielmehr einer Konkretisierung und Individualisierung durch einen Verwaltungsakt, der erst die Grundlage für den Einsatz von Zwangsmitteln darstellen kann.

Wird der Steuerpflichtige wie im Streitfall unter Setzung eines Termins unmissverständlich aufgefordert, die Steuererklärung für einen Veranlagungszeitraum einzureichen, weil sie dem FA bisher nicht vorliegt, gibt die Behörde zu erkennen, dass sie sich für berechtigt hält, die Abgabe der angeforderten Steuererklärung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchzusetzen. Dem steht auch der Hinweis des FA nicht entgegen, wonach der Steuerpflichtige das Schreiben mit einem entsprechenden Vermerk zurücksenden solle, falls er die Auffassung vertrete, er sei zur Abgabe einer Steuererklärung nicht verpflichtet. Denn hierdurch wird die Abgabe der Einkommensteuererklärung nicht in das Belieben des Steuerpflichtigen gestellt, sondern nur in Aussicht gestellt, die Aufforderung zur Abgabe der Erklärung zu widerrufen oder zurückzunehmen, wenn der Steuerpflichtige hinreichende Gründe benennt, dass ihn keine diesbezügliche Pflicht trifft. Auch kann aus dem Fehlen einer Begründung bzw. einer Rechtsbehelfsbelehrung nicht geschlossen werden, dass keine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung i.S. des § 149 Abs. 1 Satz 2 AO vorliegt.

Da der Steuerpflichtige demnach für das Streitjahr 2006 zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet war, war die vierjährige Verjährungsfrist infolge der Anlaufhemmung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bei Einreichung der Steuererklärung im Dezember 2011 noch nicht abgelaufen.

BFH, Urteil vom 4.10.2017, VI R 53/15, veröffentlicht am 20.12.2017.