11.03.2016

Berechtigter darf sein dingliches Wohnungsrecht nach Bluttat unter Umständen nicht mehr persönlich ausüben

Zu den Interessen des Grundstückseigentümers nach § 1020 S. 1 BGB gehören bei einem dinglichen Wohnungsrecht auch die persönlichen Beziehungen zwischen dem Berechtigten und den Personen, die dem vom Berechtigten getöteten Grundstückseigentümer nahe standen und weiterhin auf dem Grundstück leben. Insofern muss der Berechtigte das Wohnungsrecht nicht aufgeben, darf es u.U. aber nicht mehr persönlich ausüben.

BGH 11.3.2016, V ZR 208/15
Der Sachverhalt:
Der Beklagte war zusammen mit seinem Bruder Eigentümer eines Hausgrundstücks in Leipzig. Anfang 1997 hatte er seinen hälftigen Miteigentumsanteil auf den Bruder übertragen, behielt sich aber ein dingliches Wohnungsrecht an der Wohnung im Obergeschoss des Anwesens vor. Beides wurde seinerzeit in das Grundbuch eingetragen.

Der Beklagte bezog die Wohnung im Obergeschoss, sein Bruder die Wohnung im Untergeschoss des Anwesens, in der er mit seiner geschiedenen Ehefrau wieder zusammenlebte. Im Mai 2012 erstach der Beklagte seinen Bruder während eines Streits. Er wurde wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und neun Monaten verurteilt, die er immer noch verbüßt. Erbin des Getöteten und damit Eigentümerin des Grundstücks wurde dessen Mutter. Der Beklagte wurde in einem Zivilrechtsstreit rechtskräftig für erbunwürdig erklärt. Die frühere Ehefrau des Getöteten wohnt weiterhin auf dem Grundstück.

Die Klägerin, die nicht auf dem Grundstück lebt, verlangte von dem Beklagten die - bedingungslose - Zustimmung zur Löschung des Wohnungsrechts. Sie verwies dabei auf die Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofs, der die Kündigung eines dinglichen Wohnungsrechts für möglich hält, wenn der Wohnungsberechtigte den Grundstückseigentümer ermordet hat.

Die Klage blieb allerdings in allen Instanzen erfolglos.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechtes.

Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Denn die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich hieraus überhaupt ein Anspruch auf Aufgabe eines Wohnungsrechts ergeben kann, hat der BGH bislang bisher noch nicht entschieden und wird sie auch in diesem Fall offen lassen.

Zwar ist es Personen, die dem Getöteten nahe standen und die weiterhin auf dem mit dem Wohnungsrecht belasteten Grundstück wohnen, im Allgemeinen nicht zumutbar, mit dem Täter unter einem Dach zu leben. Doch kommt selbst in solch einer Situation ein Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechts nur als letztes Mittel - oder, wie es der österreichische Oberste Gerichtshof formuliert, als "äußerstes Notventil" - in Betracht, wenn andere zumutbare Wege der Konfliktlösung ausscheiden.

Nach deutschem Dienstbarkeitenrecht besteht eine solche Möglichkeit regelmäßig. Der Berechtigte muss nämlich sein dingliches Wohnungsrecht nach § 1020 S. 1 BGB so ausüben, dass die Interessen des Grundstückseigentümers tunlichst geschont werden. Zu diesen Interessen gehören bei einem dinglichen Wohnungsrecht auch die persönlichen Beziehungen zwischen dem Berechtigten und den Personen, die dem getöteten Grundstückseigentümer nahe standen und weiterhin auf dem Grundstück leben.

Wenn diese Personen mit dem Berechtigten wegen der Tat nicht mehr auf dem Grundstück unter einem Dach zusammenleben wollen, muss der Berechtigte dem Rechnung tragen. Dieses Ziel ist aber schon dadurch zu erreichen, dass er die Wohnung nicht mehr selbst nutzt, sondern sie Dritten überlässt, also etwa vermietet. Dazu ist er auf Verlangen des Grundstückseigentümers auch verpflichtet. Diese alternative Möglichkeit der Konfliktlösung schließt einen auf § 242 BGB gestützten Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechts aus.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 56 vom 11.3.2016
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