02.08.2019

Besteuerung laufender Kapitalerträge aus Vollrisikopapieren nach dem 31.12.2008

Sog. BIP-gebundene Wertpapiere, die von gegen Argentinien-Anleihen eingetauschten festverzinslichen Schuldverschreibungen nach den Emissionsbedingungen automatisch abgekoppelt worden und mit einer eigenen Wertpapierkennnummer eigenständig handelbar sind, bei denen die Rückzahlung des Nennkapitals ausgeschlossen ist und die Zahlung eines Entgelts von der Entwicklung des argentinischen Bruttoinlandsprodukts sowie anderen variablen Größen abhängig ist, sind keine Kapitalforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der am 31.12.2008 anzuwendenden Fassung. Es handelt sich um Kapitalanlagen mit ausschließlich spekulativem Charakter (sog. Vollrisikopapiere). Laufende Kapitalerträge aus solchen BIP-gebundenen Wertpapieren sind gemäß § 52a Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG nach dem 31.12.2008 nicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. steuerpflichtig, wenn die Wertpapiere vor dem 15.03.2007 erworben wurden.

Kurzbesprechung
BFH v. 28.05.2019 ‑ VIII R 7/16

EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, § 52a Abs. 8, Abs. 10 Satz 8

Im Streitfall waren die BIP-gebundenen Wertpapiere für die ertragsteuerliche Qualifikation als eigenständige Kapitalanlagen zu beurteilen. Sie sind für Zeiträume nach der automatischen Abkopplung von den zugrunde liegenden Schuldverschreibungen im Jahr 2005 von den ursprünglichen Schuldverschreibungen getrennt und mit eigener Wertpapierkennnummer separat handelbar. Auf dieser Grundlage war die vom FA geforderte Einordnung der BIP-gebundenen Wertpapiere nach den Verhältnissen im Emissionszeitpunkt (im Jahr 2005), als die BIP-gebundenen Wertpapiere unselbständige Bestandteile der mit ihnen verbundenen Schuldverschreibungen waren, nicht sachgerecht.

Im Streitfall hatte das FG zu Recht eine Steuerpflicht der streitigen Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b Satz 2 EStG verneint. Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören nach dieser Regelung zwar auch Kapitalerträge aus der Einlösung von Zinsscheinen und Zinsforderungen durch den ehemaligen Inhaber der Schuldverschreibung. Der Steuerpflichtige ist aber weder "ehemaliger" Inhaber der im Jahr 2005 eingetauschten Schuldverschreibungen, von denen die BIP-gebundenen Wertpapiere abgekoppelt wurden, da sich diese im Streitjahr noch in seinem Depot befanden, noch ist er ehemaliger Inhaber derjenigen Schuldverschreibungen, von denen die in den Jahren 2006 und 2009 vom Steuerpflichtigen separat erworbenen BIP-gebundenen Wertpapiere abgekoppelt wurden.

Zu Recht hatte das FG die streitigen laufenden Kapitalerträge aus den BIP-gebundenen Wertpapieren im Ergebnis auch nicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. als steuerpflichtig angesehen, da der Steuerpflichtige die zugrunde liegenden BIP-gebundenen Wertpapiere vor dem 15.3.2007 erworben hat.

Dies folgt aus den maßgeblichen Anwendungsbestimmungen in § 52a Abs. 8 Satz 1 EStG und § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG. Gemäß § 52a Abs. 8 Satz 1 EStG ist § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. erstmals auf laufende Kapitalerträge anzuwenden, die dem Gläubiger nach dem 31.12. 2008 zufließen. Dies gilt nach der in § 52a Abs. 8 Satz 1 EStG enthaltenen Rückausnahme aber nur "vorbehaltlich der Regelungen in Absatz 10 Satz 6 bis 8". § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG hat folgenden Wortlaut: "Bei Kapitalforderungen, die zwar nicht die Voraussetzungen von § 20 Absatz 1 Nr. 7 in der am 31.12. 2008 anzuwendenden Fassung, aber die Voraussetzungen von § 20 Abs. 1 Nr. 7 in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes vom 14. 8. 2007 (BGBl 2007 I, 1912) [= § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F.] erfüllen, ist § 20 Absatz 2 Satz 1 Nr. 7 in Verbindung mit § 20 Absatz 1 Nr.  7 vorbehaltlich der [im Streitfall offensichtlich nicht einschlägigen] Regelung in Absatz 11 Satz 4 und 6 auf alle nach dem 30.6. 2009 zufließenden Kapitalerträge anzuwenden, es sei denn, die Kapitalforderung wurde vor dem 15. 3. 2007 angeschafft." Die Voraussetzungen dieser Rückausnahme lagen im Streitfall vor.

Bei den BIP-gebundenen Wertpapieren handelte es sich damit nicht um sonstige Ka­pitalforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der am 31.12.2008 anzuwendenden Fassung, sondern um eine Kapitalanlage mit spekulativem Charakter. Aus dem Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG ist ferner abzuleiten, dass die Norm für Kapitalforderungen, welche die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der am 31. 12. 2008 anzuwendenden Fassung nicht erfüllen ("Vollrisikopapiere alten Rechts"), eine zeitliche Anwendungsbestimmung sowohl für Veräußerungsgewinne (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG) als auch für laufende Kapitalerträge (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) enthält, wenn die Kapitalerträge nach dem 30.6. 2009 zufließen.

§ 52a Abs. 10 Satz 8 Halbsatz 1 EStG gilt nach seinem Wortlaut für Kapitalerträge aus Kapitalforderungen gemäß "§ 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 7 in Verbindung mit § 20 Absatz 1 Nummer 7". Da die Regelung sowohl die Rechtsgrundlage für die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F.) als auch die Rechtsgrundlage für die Besteuerung laufender Kapitalerträge (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F.) zitiert und generell auf "zufließende Kapitalerträge" abstellt, enthält die Vorschrift aufgrund des Verweises in § 52a Abs. 8 Satz 1 EStG auf § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG eine zeitliche Anwendungsbestimmung auch für laufende Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. Der Vorbehalt in § 52a Abs. 8 Satz 1 EStG ist nach Auffassung des BFH so zu verstehen, dass für laufende Kapitalerträge aus Kapitalforderungen, die die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der am 31.12.2008 geltenden Fassung nicht erfüllen, die allgemeine Anwendungsregel gemäß § 52a Abs. 8 Satz 1 EStG nicht gilt.

BFH, Beschluss vom 28.5.2019, VIII R 7/16, veröffentlicht am 1.8.2019.
Verlag Dr. Otto Schmidt