31.01.2013

Betreuung von Passagieren nach - wegen außergewöhnlichen Umständen - annullierten Flügen muss auch über mehrere Tage erfolgen

Ein Luftfahrtunternehmen muss Fluggäste, deren Flug aufgrund außergewöhnlicher Umstände wie der Schließung des Luftraums nach dem Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull annulliert wurde, betreuen. Das Unionsrecht sieht keine zeitliche oder finanzielle Begrenzung dieser Pflicht zur Betreuung der Fluggäste (Unterbringung, Mahlzeiten, Erfrischungen) vor.

EuGH 31.1.2013, C-12/11
Hintergrund:
Wird ein Flug annulliert, ist das Luftfahrtunternehmen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu Betreuungs- und Ausgleichsleistungen gegenüber den betroffenen Fluggästen verpflichtet. Im Rahmen der Betreuungspflicht muss das Luftfahrtunternehmen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit Erfrischungen und Mahlzeiten sowie ggf. eine Hotelunterbringung, die Beförderung zwischen dem Flughafen und dem Ort der Unterbringung und Kommunikationsmöglichkeiten mit Dritten unentgeltlich bereitstellen.

Dieser Pflicht muss das Luftfahrtunternehmen auch dann nachkommen, wenn die Annullierung des Fluges auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, d.h. solche, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Ausgleichspflicht trifft das Luftfahrtunternehmen dagegen nicht, wenn es nachweisen kann, dass die Flugannullierung solchen Umständen geschuldet ist.

Der Sachverhalt:
Nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull wurde der Luftraum mehrerer Mitgliedstaaten, u.a. auch der Luftraum über Irland, vom 15. bis zum 22.4.2010 wegen der Gefahren für die Luftfahrzeuge geschlossen. Die Klägerin gehörte zu den Fluggästen, die auf den für den 17.4.2010 vorgesehenen Flug von Faro nach Dublin gebucht waren, der nach dem Vulkanausbruch annulliert wurde. Die Flüge zwischen Irland und dem europäischen Kontinent wurden erst am 22.4.2010 wieder aufgenommen, und die Klägerin konnte schließlich erst am 24.4.2010 nach Irland zurückkehren.

In dem betreffenden Zeitraum wurde sie von der beklagten Fluggesellschaft Ryanair nicht betreut. Sie begehrt daher von der Beklagten eine Entschädigung i.H.v. nahezu 1.130 €, dem Betrag der ihr vom 17. bis zum 24.4.2010 entstandenen Kosten für Mahlzeiten, Erfrischungen, Unterbringung und Beförderung.

Der mit dem Rechtsstreit befasste Dublin Metropolitan District Court (Irland) möchte vom EuGH wissen, ob es sich bei der Schließung des Luftraums wegen eines Vulkanausbruchs um "außergewöhnliche Umstände" handelt, mit der Folge, dass das Luftfahrtunternehmen zur Betreuung der Fluggäste verpflichtet ist, oder ob darin vielmehr Umstände zu sehen sind, die über "außergewöhnliche Umstände" hinausgehen, so dass das Luftfahrtunternehmen von seiner Fluggastbetreuungspflicht freigestellt ist. Für den Fall, dass der EuGH erkennen sollte, dass solche Umstände tatsächlich unter den Begriff der außergewöhnlichen Umstände fallen, wird er außerdem auch um Entscheidung darüber ersucht, ob in einem solchen Fall die Betreuungspflicht zeitlich und/oder finanziell zu begrenzen ist.

Die Gründe:
Umstände wie die Schließung eines Teils des europäischen Luftraums nach einem Vulkanausbruch - wie etwa dem des Eyjafjallajökull - stellen "außergewöhnliche Umstände" dar, die die Luftfahrtunternehmen nicht von ihrer Betreuungspflicht entbinden. Das Unionsrecht sieht keine zeitliche oder finanzielle Begrenzung dieser Pflicht zur Betreuung der Fluggäste vor.

Das Unionsrecht sieht keine gesonderte Kategorie von "besonders außergewöhnlichen" Vorkommnissen vor, aufgrund derer die Luftfahrtunternehmen von allen ihren Verpflichtungen aus der in Rede stehenden Verordnung einschließlich der Betreuungspflicht freigestellt würden. Anderenfalls müssten die Luftfahrtunternehmen die Betreuungsleistungen nur gegenüber Fluggästen erbringen, deren Lage infolge einer Flugannullierung "begrenzt unangenehm" ist. Fluggästen, die sich insoweit in einer besonders prekären Lage befinden, als sie gezwungen sind, mehrere Tage an einem Flughafen zu verweilen, bliebe dieser Schutz dagegen vorenthalten.

Die Verordnung sieht auch keine zeitliche oder finanzielle Begrenzung der Betreuungspflicht vor. Dem Luftfahrtunternehmen obliegen alle Betreuungspflichten gegenüber den betroffenen Fluggästen während des gesamten Zeitraums, in dem diese auf ihre anderweitige Beförderung warten müssen. Gerade die Betreuung der Fluggäste beim Eintritt "außergewöhnlicher Umstände", die lange anhalten, stellt sich als besonders wichtig dar. Gerade bei einer besonders langen Wartezeit infolge der Annullierung eines Fluges muss sichergestellt werden, dass dem Fluggast während der gesamten Wartezeit der Zugang zu den allernötigsten Erzeugnissen und Dienstleistungen möglich ist.

Die Betreuungspflicht bringt für die Luftfahrtunternehmen zwar finanzielle Folgen mit sich, diese können jedoch in Anbetracht des bezweckten hohen Schutzniveaus für die Fluggäste nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. Die große Bedeutung dieses Ziels rechtfertigt selbst solche negativen wirtschaftlichen Folgen mit beträchtlichem Ausmaß für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer. Im Übrigen können die Luftfahrtunternehmen als umsichtige Unternehmer die Kosten, die mit der Erfüllung ihrer Betreuungspflicht verbunden sind, im Voraus veranschlagen und sie auf die Flugpreise umlegen.

Schließlich ist festzustellen, dass ein Fluggast, wenn das Luftfahrtunternehmen seiner Betreuungspflicht nicht nachgekommen ist, als Entschädigung nur solche Beträge erstattet bekommen kann, die sich als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um das Versäumnis des Luftfahrtunternehmens auszugleichen. Dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 8 vom 31.1.2013
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