13.07.2018

Beurteilungsfehler der EZB: Ausnahme bei der Berechnung der Verschuldungsquote

Das EuG hat die Beschlüsse der EZB, mit denen sechs französischen Kreditinstituten das Recht versagt wurde, bestimmte Risikopositionen im Zusammenhang mit französischen Sparbüchern bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen, für nichtig erklärt. Der EZB sind insoweit Rechtsfehler und offensichtliche Beurteilungsfehler unterlaufen.

EuG 13.7.2018, T-733/16
Der Sachverhalt:

Die Finanzkrise von 2008 hat gezeigt, dass einige Kreditinstitute einen zu großen Teil ihrer Investitionen durch Verschuldung statt durch Eigenmittel finanziert hatten. Dieser Mangel an Eigenmitteln führte dazu, dass einige Banken ihre Vermögenswerte dringend veräußern mussten, was die Wirkungen der Finanzkrise verstärkte. Um einen besseren Überblick über die Eigenmittelausstattung der Kreditinstitute zu ermöglichen, beschloss der europäische Gesetzgeber, ein neues Instrument zur Beurteilung ihrer Ausstattung zu schaffen, nämlich die Verschuldungsquote. Die Besonderheit der Verschuldungsquote liegt darin, dass sie nicht anhand des Ausmaßes der Risikopositionen der Kreditinstitute berechnet wird und dass grundsätzlich deren gesamte Investitionen in ihre Berechnung einfließen.

Allerdings wurde in die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute eine Ausnahmeregelung eingefügt, nach der die zuständigen Behörden, darunter die EZB, den Kreditinstituten gestatten können, Risikopositionen, die bestimmte Bedingungen erfüllen, bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen. Sechs französische Kreditinstitute, die der Direktaufsicht durch die EZB unterliegen, stellten bei dieser den Antrag, bei der Berechnung der Verschuldungsquote die Risikopositionen unberücksichtigt lassen zu dürfen, die sich aus Beträgen aus mehreren bei ihnen eröffneten Sparbüchern ergaben und auf die Kasse für Einlagen und Hinterlegungen (CDC), eine französische Anstalt des öffentlichen Rechts, übertragen worden waren.

Im August 2016 verwehrte die EZB die Genehmigung, die gegenüber der CDC bestehenden Risikopositionen, die sich aus den auf den drei oben genannten Sparbüchern angelegten Beträgen ergaben, bei der Berechnung der Verschuldungsquote unberücksichtigt zu lassen. Zur Begründung führte sie aus, selbst wenn die in der Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien, stehe es in ihrem Ermessen, ob sie die beantragte Nichtberücksichtigung genehmige. Bei der Ausübung dieses Ermessens sei zu beachten, dass der Mechanismus der Übertragung von der CDC auf die betroffenen Kreditinstitute Schwächen aufweise und aufsichtsrechtliche Bedenken aufwerfe, was die Ablehnung der Anträge dieser Kreditinstitute rechtfertige. Die sechs Kreditinstitute riefen daraufhin das EuG an, um die ablehnenden Beschlüsse der EZB für nichtig erklären zu lassen.

Das EuG gab den Klagen statt und erklärte die Beschlüsse der EZB für nichtig.

Die Gründe:

Wenn die Voraussetzungen für die Genehmigung der in Rede stehenden Nichtberücksichtigung erfüllt sind, steht es im Ermessen der EZB, ob sie diese Nichtberücksichtigung tatsächlich genehmigt. Dass ein solches Ermessen besteht, ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut der Verordnung und erklärt sich damit, dass es der EZB gestattet sein muss, eine Abwägung anhand der Besonderheiten jedes Einzelfalls vorzunehmen, und zwar zwischen einerseits dem Erfordernis, den Grundgedanken der Verschuldungsquote zu beachten, und andererseits der Erwägung, dass bestimmte Risikopositionen, die ein besonders schwaches Risikoprofil aufweisen und nicht aus einer Investitionsentscheidung des betroffenen Kreditinstituts herrühren, für die Berechnung der Verschuldungsquote irrelevant sind und dabei unberücksichtigt bleiben können.

Allerdings sind der EZB bei der Ausübung ihres Ermessens Rechtsfehler und offensichtliche Beurteilungsfehler unterlaufen. Die EZB hat ihre Ablehnung mit Aspekten begründet, die den Risikopositionen, auf die sich die in der Verordnung vorgesehene Ausnahmeregelung bezieht, inhärent sind, womit sie dieser Ausnahmeregelung ihre praktische Wirksamkeit genommen hat. Sie hat ihre Ablehnung damit begründet, dass die Risikopositionen gegenüber der CDC auf der Aktivseite der Bilanz der betroffenen Kreditinstitute stünden (dabei sind die von der Ausnahmeregelung betroffenen Risikopositionen wesensgemäß dazu bestimmt, auf der Aktivseite der Bilanz zu stehen), dass diese Kreditinstitute das operationelle Risiko im Zusammenhang mit regulierten Spareinlagen trügen (dabei entspricht es dem Grundgedanken der Ausnahmeregelung, dass die Kreditinstitute dieses Risiko tragen) und dass eine etwaige Zahlungsunfähigkeit des französischen Staates zur Folge haben könne, dass die auf die CDC übertragenen Beträge den Klägerinnen nicht zurückgezahlt würden (dabei betrifft die Ausnahmeregelung ausschließlich Risikopositionen gegenüber Staaten, und die EZB hat die Wahrscheinlichkeit einer solchen Zahlungsunfähigkeit nicht untersucht).

Angesichts der Tatsache, dass sich die mit einer übermäßigen Verschuldung verbundenen Risiken im Fall einer unzureichenden Liquidität verwirklichen, ist der grundsätzliche Standpunkt der EZB, dass sich aufgrund der Anpassungsfrist (d.h. der zwischen den Anpassungen der jeweiligen Positionen der betroffenen Kreditinstitute und der CDC liegenden Frist) die mit einer übermäßigen Verschuldung verbundenen Risiken eher verwirklichen könnten, obwohl die EZB einräumt, dass diese Anpassungsfrist kein Liquiditätsrisiko begründe, aufgrund seiner Allgemeinheit und angesichts des Fehlens einer detaillierten Prüfung der typischen Merkmale der regulierten Spareinlagen als offensichtlich fehlerhaft anzusehen.

Linkhinweis:

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EuGH PM Nr. 110 vom 13.7.2018