30.03.2015

Beweislastumkehr kann in Einzelfällen auch bei Behandlungsfehlern von Tierärzten in Betracht kommen

Generell können die zur Humanmedizin getroffenen Vorschriften der Beweislastumkehr nicht analog auf die ähnlich gelagerte Problematik bei Behandlungsverträgen mit Tierärzten angewendet werden. Die Frage der Beweislastumkehr ist insofern nicht generalisierend, sondern in jedem Einzelfall zu prüfen und kann in Fällen von schweren Behandlungsfehlern durchaus bejaht werden.

OLG Oldenburg 26.3.2015, 14 U 100/14
Der Sachverhalt:
Die Klägerin kontaktierte im Juli 2010 den beklagten Tierarzt, nachdem sie an der Innenseite des rechten hinteren Beines in der Höhe des Unterschenkelknochens eine Verletzung festgestellt hatte. Zum Zeitpunkt des Eintreffens des Beklagten auf dem Hof der Klägerin war das Pferd bereits von der Weide geholt und an einem Balken angebunden worden. Der Tierarzt verschloss die Wunde und gab die Anweisung, das Pferd müsse zwei Tage geschont werden. Es könne dann aber wieder geritten werden, soweit keine Schwellung im Wundbereich eintrete.

Drei Tage später wurde das Pferd zum Beritt abgeholt. Die Reiterin stellte sogleich leichte Taktunreinheiten im Bereich des verletzten Beines fest und stellte daraufhin das Reiten ein. Weitere drei Tage später diagnostizierte der Tierarzt eine Fraktur des verletzten Beines. Die Operation der Fraktur gelang nicht, das Pferd wurde noch am selben Tag getötet. Wie sich nach Einholung eines Sachverständigengutachtens im Prozess herausstellte, hatte sich das Pferd durch den Tritt eines Artgenossen nicht nur eine äußerliche Wunde zugezogen, sondern auch eine Fissur des Knochens. Diese Fissur hatte sich zu einer vollständigen Fraktur entwickelt.

Die Klägerin verlangte vom Beklagten mehr als 100.000 € Schadensersatz wegen fehlerhafter Behandlung ihres Pferdes. Das LG gab der Klage dem Grunde nach statt. Das Gericht nahm in entsprechender Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zum ärztlichen Behandlungsvertrag in der Humanmedizin eine Beweislastumkehr bei einem schweren Behandlungsfehler an. Die Berufung des Beklagten blieb vor dem OLG erfolglos. Allerdings wurde die Revision zum BGH zugelassen.

Die Gründe:
Das LG ging zu Recht von einem schweren Behandlungsfehler durch den Beklagten aus. Dieser hätte erkennen müssen, dass die Möglichkeit eine Fissur bestand. Er hätte dazu weitere Untersuchungen vornehmen müssen, die die Fissur bestätigt hätten. Sodann hätte er die Empfehlung aussprechen müssen, das Tier möglichst so zu halten, dass es sich wenig bewegen und sich insbesondere nicht hinlegen kann. Tatsächlich war die Fraktur des Beines beim Aufstehen des Pferdes entstanden, während es alleine im Paddock gehalten wurde.

Die Frage, ob der schwere Behandlungsfehler ursächlich für die Fraktur geworden war, konnte vom Sachverständige nicht eindeutig bejaht bzw. verneint werden, weshalb es darauf ankam, ob die Klägerin oder der Beklagte die Beweislast tragen musste. Zwar liegt die Beweislast grundsätzlich beim Tierhalter. Das LG hat jedoch in entsprechender Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zum ärztlichen Behandlungsvertrag in der Humanmedizin eine Beweislastumkehr bei einem schweren Behandlungsfehler angenommen. Dieser Auslegung war allerdings nicht zu folgen. Denn generell können die zur Humanmedizin getroffenen Vorschriften nicht analog angewendet werden.

Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der ähnlich gelagerten Problematik bei Behandlungsverträgen mit Tierärzten davon abgesehen, entsprechende Vorschriften in das Gesetz aufzunehmen. Trotzdem konnte hier die Umkehr der Beweislast im Ergebnis angenommen werden. Der Senat geht davon aus, dass die Frage der Beweislastumkehr nicht generalisierend, sondern in jedem Einzelfall zu prüfen ist. Infolgedessen kam sie im vorliegenden Fall in Betracht, weil der Tierarzt durch seinen Rat, das Pferd könne bereits nach zwei Tagen wieder geritten werden, das Risiko einer Fraktur mit dem für das Tier tödlichen Ausgang noch wesentlich erhöht hatte.

Nach dieser Entscheidung muss das LG noch über die Höhe des Schadensersatzanspruches entscheiden. Die Revision wurde im Hinblick auf die Frage der Beweislastumkehr zugelassen.

OLG Oldenburg PM v. 27.3.2015
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