15.05.2018

BFH zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen

Der BFH zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 und hat daher im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens Aussetzung der Vollziehung gewährt.

Kurzbesprechung
BFH-Beschluss v. 25.4.2018 - IX B 21/18

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 100 Abs. 1 Satz 1
AO § 152 Abs. 5, § 233a, § 238
EGAO Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 1
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3

Im Streitfall ging es um die Rechtmäßigkeit von Nachzahlungszinsen für eine Einkommensteuernachzahlung für den VZ 2009. Das FA verlangte in dem mit der Steuerfestsetzung verbundenen Zinsbescheid für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 Nachzahlungszinsen in Höhe von 240.831 €. Die Antragsteller begehren die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Zinsbescheids, da die Höhe der Zinsen von 0,5 Prozent für jeden Monat verfassungswidrig sei.

Nach erfolglosem Vorverfahren gab der BFH dem Antrag statt und setzte die Vollziehung des Zinsbescheids in vollem Umfang aus. Nach Auffassung des BFH bestehen im Hinblick auf die Zinshöhe für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. Der BFH begründet dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveaus strukturell und nachhaltig verfestigt habe.

Im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens sieht der BFH keine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe. Auf Grund der auf moderner Datenverarbeitungstechnik gestützten Automation in der Steuerverwaltung könnten Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung einer Anpassung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i.S. des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mehr entgegenstehen. Für die Höhe des Zinssatzes fehle es an einer Begründung. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhalte, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen könne. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.

Außerdem bestehen nach Auffassung des BFH schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Übermaßverbot entspricht. Denn die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirkt in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung.

In seinem Beschluss wendet sich der BFH auch an den Gesetzgeber, der von Verfassungs wegen gehalten sei zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zu der in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten gesetzlichen Höhe von Nachzahlungszinsen auch bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus aufrechtzuerhalten sei oder die Zinshöhe herabgesetzt werden müsse. Dies habe er selbst auch erkannt, aber gleichwohl bis heute nichts getan, obwohl er vergleichbare Zinsregelungen in der Abgabenordnung und im Handelsgesetzbuch dahin gehend geändert habe.

BFH, Beschluss vom 25.4.2018, IX B 21/18, veröffentlicht am 14.5.2018

Verlag Dr. Otto Schmidt