02.04.2013

Bindung an Pflichtteilsstrafklausel im Ehegattentestament verhindert Folgen eines späteren Behindertentestamentes

Die Pflichtteilsstrafklausel in einem von einem Ehepaar errichteten Berliner Testament greift auch dann ein, wenn ein Träger der Sozialhilfe beim Tod des Erstversterbenden aus übergegangenem Recht für eines der Kinder den Pflichtteil verlangt. Der Pflichtteilsanspruch des Kindes nach dem Tod des zuletzt Versterbenden kann dann durch eine spätere Erbeinsetzung des Kindes durch den überlebenden Elternteil im Rahmen eines sog. Behindertentestaments nicht ausgeschlossen werden.

OLG Hamm 28.2.2013, I-10 U 71/12
Der Sachverhalt:
Ein Ehepaar hatte sich in einem in den Jahren 1979 und 1995 verfassten Berliner Testamenten wechselseitig zu Erben eingesetzt und bestimmt, dass ihre vier Töchter Schlusserben nach dem Tod des Letztversterbenden werden sollten. Außerdem hatten sie angeordnet, dass ein Kind, das nach dem Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil fordert, auch nach dem Tod des später Versterbenden auf den Pflichtteil beschränkt sein sollte (Pflichtteilsstrafklausel). Da die jüngste Tochter seit ihrer Geburt schwer behindert ist, lebt sie in einer Behinderteneinrichtung und steht im Leistungsbezug des klagenden Landschaftsverbandes.

Nach dem Tode des Vaters im Jahre 1997 machte der Kläger aus übergegangenem Recht der jüngsten Tochter gegen die überlebende Mutter erfolgreich einen Pflichtteilsanspruch geltend. Mit einem im Jahr 1998 errichteten notariellen Testament setzte die Mutter daraufhin alle 4 Töchter zu gleichen Teilen als Erben ein und ordnete bezüglich ihrer jüngsten Tochter eine Vorerbschaft an, wobei ihre Schwestern Nacherben sein sollten (sog. Behindertentestament). Hiermit sollte ein weiterer Zugriff des Klägers auf das Erbe der behinderten Tochter beim Versterben der Mutter verhindert werden.

Nachdem die Mutter im Jahr 2010 verstorben war, verlangte der Kläger, wiederum aus übergegangenem Recht der jüngsten Tochter, von den drei weiteren Schwestern erneut den Pflichtteil. Diesen verweigerten die Beklagten. Sie waren der Ansicht, dass ihre jüngste Schwester aufgrund des Testaments aus dem Jahr 1998 Vorerbin und deswegen nicht pflichtteilsberechtigt sei.

Das LG gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten blieb vor dem OLG erfolglos.

Die Gründe:
Der Kläger kann aus übergegangenem Recht von den drei Beklagten erneut den Pflichtteil verlangen.

Die im Leistungsbezug des Klägers stehende behinderte Tochter ist seit dem Tod der Mutter pflichtteils- und nicht erbberechtigt. Die Pflichtteilsstrafklausel aus den Berliner Testamenten der Eltern griff demzufolge ein, obwohl ein Träger der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht und nicht das behinderte Kind selbst den Pflichtteil nach dem Tod des Erstverstrebenden verlangt hatte. Den Testamenten konnte nicht entnommen werden, dass die für den Schlusserbfall angeordnete Miterbenstellung der behinderten Tochter dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen sein sollte.

Zu Lebzeiten beider Eltern war kein sog. Behindertentestament errichtet worden. Die behinderte Tochter war deswegen infolge des Pflichtteilsverlangens des Klägers beim Tod des Vaters wirksam enterbt worden. Hieran konnten auch die Regelungen des Folgetestaments aus dem Jahr 1998 nichts ändern. Denn die Mutter war nach dem Tod des Vaters an die entgegenstehenden Verfügungen aus den gemeinschaftlichen Testamenten gebunden gewesen und konnte nicht mehr anderweitig verfügen.

OLG Hamm PM v. 2.4.2013