Bindungswirkung einer rechtswidrigen Bescheinigung nach § 7h Abs. 2 EStG
KurzbesprechungEStG § 7h
AO § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BauGB § 177
VwVfG § 44
Die Steuerpflichtigen sind Eigentümer eines mit einem vermieteten Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks in einem Sanierungsgebiet. Sie haben das 2007 fertig gestellte Gebäude in den Jahren 2006 und 2007 saniert und modernisiert. Die Herstellungskosten betrugen 450.370,95 €. Die baulichen Maßnahmen beruhten weder auf einem Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot i.S. des § 177 des Baugesetzbuches (BauGB) noch existierte eine Verpflichtung der Steuerpflichtigen gegenüber der Stadt zur Durchführung der Arbeiten.
Im Besteuerungsverfahren legten sie dem FA eine von der zuständigen Gemeindebehörde ausgestellte "Bescheinigung gemäß § 7h EStG" vom 7.7. 2010 vor, wonach das Gebäude im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet liege, "Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen i.S.d. § 177 BauGB" an diesem Gebäude durchgeführt und diese nicht mit Städtebaufördermitteln oder Zuschüssen der Stadt unterstützt worden seien.
Das FA lehnte die begehrte erhöhte Abschreibung nach § 7h EStG ab mit der Begründung, die Anspruchsvoraussetzungen lägen nicht vor. Während des sich anschließenden Einspruchsverfahrens remonstrierte das FA gegen die für rechtswidrig erachtete Bescheinigung der Stadt. Diese nahm sie daraufhin zurück. Das FA wies daraufhin den Einspruch als unbegründet zurück.
Das sich anschließende Klageverfahren wurde vom FG zunächst ausgesetzt, weil sich die Steuerpflichtigen darüber hinaus mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) gegen die Rücknahme der Bescheinigung wandten. Mit rechtskräftigem Urteil des VG wurde der Klage stattgegeben und der Rücknahmebescheid der Stadt aufgehoben. Zwar sei die von der Stadt erteilte Bescheinigung rechtswidrig, soweit darin die Feststellung enthalten sei, dass an dem Gebäude Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB durchgeführt worden seien. Allerdings habe es die Stadt bei der Rücknahme der Bescheinigung pflichtwidrig unterlassen, eine Ermessensentscheidung zu treffen. Daraufhin wies das FG die Klage mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 EStG seien nicht durch eine Bescheinigung der zuständigen Gemeindebehörde nachgewiesen.
Der BFH entschied jedoch, dass die Bescheinigung der Stadt für die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 EStG Bindungswirkung entfaltet. Denn eine Bescheinigung ist bindend, und zwar unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit.
Die Bindungswirkung der Bescheinigung erstreckt sich auf die in § 7h Abs. 1 EStG benannten Tatbestandsmerkmale, nämlich auf die Feststellung, ob das Gebäude in einem Sanierungsgebiet belegen ist, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB bzw. Maßnahmen i.S. des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG durchgeführt und ob Zuschüsse aus Sanierungs- oder Entwicklungsfördermitteln gewährt worden sind. Allein die Gemeinde prüft, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB durchgeführt wurden, und entscheidet insbesondere nach Maßgabe des BauGB, wie die Begriffe "Modernisierung" und "Instandsetzung" zu verstehen sind.
Hat die Bescheinigungsbehörde eine bindende Entscheidung über eine der in § 7h Abs. 1 EStG genannten Voraussetzungen getroffen, hat das FA diese im Besteuerungsverfahren ohne weitere Rechtmäßigkeitsprüfung zugrunde zu legen, es sei denn, sie wäre von der Bescheinigungsbehörde förmlich zurückgenommen oder widerrufen worden oder nach § 44 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nichtig und deshalb unwirksam.
Besteht dagegen eine wirksame Bescheinigung, entfaltet diese die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids. Ist die Bescheinigung hinsichtlich der von der Gemeinde zu prüfenden Voraussetzungen inhaltlich unrichtig, ändert auch dies - ungeachtet der etwaigen Rechtswidrigkeit - nichts an der Bindungswirkung des Grundlagenbescheides.
Im Streitfall lag eine wirksame Bescheinigung i.S. des § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG vor. Diese entfaltet für die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 EStG Bindungswirkung für die Finanzbehörden. Die zuständige Stadt hatte entschieden, dass die Steuerpflichtigen an dem Gebäude Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 177 BauGB durchgeführt haben. Das FA muss diese Entscheidung infolge der Bindungswirkung der Bescheinigung hinnehmen, auch wenn es sie für unzutreffend hält. Denn das VG hatte den Rücknahmebescheid der Stadt aufgehoben, so dass die ursprünglich erteilte Bescheinigung wieder Gültigkeit erlangte..
BFH, Urteil vom 17.4.2018, IX R 27/17, veröffentlicht am 8.8.2018.