07.09.2017

Dashcam-Aufzeichnungen dürfen zur Beweisführung über Verkehrsunfälle im Zivilprozess verwendet werden

Aufzeichnungen von Kameras, die in Fahrtrichtung fest auf dem Armaturenbrett installiert sind (sog. Dashcams), dürfen in einem Zivilprozess verwertet werden. Das Interesse des Beweisführers an einem effektiven Rechtsschutz und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör überwiegt das Interesse des Unfallgegners an dessen Persönlichkeitsrecht insbesondere dann, wenn andere zuverlässige Beweismittel nicht zur Verfügung stehen.

OLG Nürnberg 10.8.2017, 13 U 851/17
Der Sachverhalt:
Der Kläger fuhr mit seinem Pkw Toyota auf der A 5 in Höhe Karlsruhe, als der Lkw der Beklagten hinten links auf sein Fahrzeug auffuhr, wodurch dieses beschädigt wurde. In dem Lkw war eine Dashcam installiert, mit welcher das Unfallgeschehen aufgezeichnet wurde. Der Kläger behauptet, er habe verkehrsbedingt abgebremst und der Fahrer des Lkws der Beklagten sei ihm wegen zu hoher Geschwindigkeit und zu geringen Abstandes aufgefahren. Die Beklagten stellen das Unfallgeschehen hingegen so dar, dass der Kläger von der linken Spur über die mittlere auf die rechte Spur gewechselt sei und dann dort abrupt bis zum Stillstand abgebremst habe. Der Unfall sei trotz sofortiger Reaktion des Fahrers nicht vermeidbar gewesen.

Der Kläger verlangt mit seiner Klage Schadensersatz i.H.v. rd. 15.000 € von den Beklagten. Er vertritt die Auffassung, dass die Dashcam-Aufzeichnungen nicht verwertet werden dürften, da dies einen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht darstelle. Zur Rekonstruktion des Unfalls wurde ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige kam durch Auswertung der Dashcam-Aufzeichnung zu dem Ergebnis, dass die Unfallversion der Beklagten zutreffend ist. Ohne Verwertung der Bilder aus der Dashcam könne er dagegen nicht feststellen, welche der beiden Unfalldarstellungen richtig sei.

Das LG wies die Klage ab. Der Kläger legte gegen dieses Urteil Berufung ein und wandte sich nochmals gegen die Verwertung der Dashcam-Aufzeichnungen. Das OLG vertrat in seinem Hinweisbeschluss die Auffassung, das LG Regensburg habe seinem Urteil zu Recht die Dashcam-Aufzeichnungen zugrunde gelegt. Daraufhin nahm der Kläger seine Berufung zurück.

Die Gründe:
Die Frage, ob die Aufzeichnungen verwertet werden dürfen, ist im Rahmen einer Interessen- und Güterabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu klären. Vorliegend ergibt sich ein Verwertungsverbot weder aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch aus dem Kunsturheberrecht oder datenschutzrechtlichen Normen.

Durch die Aufzeichnung wird nicht in die Intim- oder Privatsphäre des Klägers eingegriffen. Sein Interesse besteht lediglich darin, dass sein im öffentlichen Verkehrsraum stattfindendes Verhalten nicht dokumentiert wird. Dem steht das Interesse des Beklagten daran gegenüber, nicht auf der Grundlage unwahrer Behauptungen zu Unrecht verurteilt zu werden. Dem gebührt Vorrang gegenüber dem sehr geringfügigen Eingriff in die Interessen des Unfallgegners daran, dass sein Fahrverhalten nicht dokumentiert wird.

Die Tatsache, dass außer der Aufzeichnung des konkreten Unfallgeschehens auch Aufnahmen von Fahrzeugen Dritter erfolgt sind, führt ebenfalls nicht zu einem Verwertungsverbot. Im Zivilprozess geht es ausschließlich um die Verwertung der relevanten Sequenzen zum Unfallhergang und nicht um die Beurteilung von Sequenzen, die damit nicht in Zusammenhang stehen. Die Berücksichtigung von Drittinteressen würde zudem bei der konkreten Fallgestaltung auch deshalb nicht zu einem Verwertungsverbot führen, weil diese ebenfalls nur minimal betroffen sind.

Es geht hier um Aufzeichnungen mit einer fest auf dem Armaturenbrett installierten und nach vorne gerichteten Dashcam. Die Aufnahmen richten sich nicht gezielt gegen einzelne Personen, wie es etwa bei der Videoüberwachung oder dem Mitschnitt von Telefonaten der Fall ist. Vielmehr werden lediglich kurzzeitig und relativ klein die Bewegungen der Fahrzeuge abgebildet. Die im Fahrzeug sitzenden Personen sind praktisch nicht sichtbar.

Auch aus dem Datenschutzrecht ergibt sich nichts anderes. Nach den dortigen Rechtsgrundlagen kommt es letztlich auf die gleiche Güterabwägung an, die hier zugunsten der Beklagten ausfällt. Schließlich ergibt sich ein Verwertungsverbot auch nicht aus dem Kunsturheberrecht. Es liegt bereits kein "Bildnis" vor, da die Aufzeichnungen die Person des Klägers allenfalls schemenhaft abbilden.

OLG Nürnberg PM Nr. 26 vom 7.9.2017