Deutsches Fahrverbot kann auch gegenüber anderen EU-Bürgern zulässig sein
EuGH 23.4.2015, C-260/13Die Klägerin ist österreichische Staatsangehörige mit Wohnhaft in dem selbigen Land, unweit der deutschen Grenze. Nach einer Polizeikontrolle in Deutschland hatte eine Blutprobe ergeben, dass sie unter Einfluss von Cannabis gefahren war und dass sie dieses Rauschmittel zumindest gelegentlich konsumierte. Die deutschen Behörden waren daher der Ansicht, dass die Klägerin zum Führen von Kfz ungeeignet sei. Ihr wurde das Recht abgesprochen, mit ihrem österreichischen Führerschein in Deutschland zu fahren. Die Behörden informierten sie darüber, dass sie ihr Recht, in Deutschland zu fahren, wiedererlangen könne, wenn sie ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorlege, das in der Regel vom Nachweis der Abstinenz von jeglichem Konsum berauschender Mittel während eines Jahres abhängig sei.
In Österreich wurde die Klägerin hingegen weiterhin als zum Führen von Kfz geeignet angesehen und behielt ihren Führerschein. Die österreichischen Behörden schreiten diesbezüglich nur ein, wenn eine fehlende Fahreignung wegen des Konsums berauschender Mittel medizinisch festgestellt wird oder wenn Anzeichen bestehen, die eine Abhängigkeit von diesen Mitteln vermuten lassen. Nach dem Protokoll des deutschen Arztes, der die Blutprobe genommen hatte, stand die Klägerin jedoch nicht merkbar unter dem Einfluss berauschender Mittel.
Die Klägerin war der Ansicht, nur die österreichischen Behörden seien für die Beantwortung der Frage zuständig, ob sie noch zum Führen von Kfz geeignet sei. In diesem Zusammenhang fragte das VG den EuGH, ob die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine, wie sie sich aus der Richtlinie 2006/126/EG über den Führerschein ergibt, der streitigen Entscheidung entgegenstehe. Der EuGH antwortete, dass die Richtlinie einen Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins vorübergehend aufhält, nicht daran hindert, die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins wegen einer Zuwiderhandlung seines Inhabers abzulehnen, die in diesem Gebiet nach Ausstellung des Führerscheins stattgefunden hat und die gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats geeignet ist, die fehlende Eignung zum Führen von Kfz herbeizuführen.
Die Gründe:
Zwar ist nach der Richtlinie 2006/126/EG nur der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes befugt, Maßnahmen der Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung eines von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Führerscheins, die ihre Wirkungen in allen Mitgliedstaaten entfalten, zu ergreifen. Allerdings erlaubt die Richtlinie jedem Mitgliedstaat (und nicht nur dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes), wegen der in seinem Hoheitsgebiet begangenen Zuwiderhandlung des Inhabers eines zuvor in einem anderen Mitgliedstaat erhaltenen Führerscheins Maßnahmen nach seinen nationalen Rechtsvorschriften zu ergreifen, deren Tragweite auf dieses Hoheitsgebiet beschränkt ist und deren Wirkung sich auf die Ablehnung beschränkt, in diesem Gebiet die Gültigkeit dieses Führerscheins anzuerkennen. Einen Mitgliedstaat zu zwingen, die Gültigkeit eines Führerscheins in einer Situation wie im vorliegenden Fall bedingungslos anzuerkennen, liefe dem Gemeinwohl dienenden Ziel der Erhöhung der Verkehrssicherheit, das die Richtlinie gerade verfolgt, zuwider.
Der Mitgliedstaat, der es ablehnt, die Gültigkeit eines Führerscheins in einer Situation wie hier anzuerkennen, ist dafür zuständig, die Bedingungen festzulegen, die der Inhaber dieses Führerscheins erfüllen muss, um das Recht wiederzuerlangen, in seinem Hoheitsgebiet zu fahren. Er kann nicht auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Führerscheins versagen. Es ist Sache des anrufenden VG zu untersuchen, ob sich Deutschland durch die Anwendung seiner eigenen Regeln in Wirklichkeit nicht unbegrenzt der Anerkennung des österreichischen Führerscheins der Klägerin entgegenstellt. In dieser Hinsicht ist es auch seine Aufgabe, zu überprüfen, ob die von den deutschen Rechtsvorschriften vorgesehenen Voraussetzungen für die Wiedererlangung des Rechts, in Deutschland zu fahren, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten und insbesondere nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des von der Richtlinie verfolgten Ziels (Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr) angemessen und erforderlich ist.
Selbst wenn kein medizinisch-psychologisches Gutachten vorliegt, kann in Deutschland das Recht von einem in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Führerschein Gebrauch zu machen, vollständig wiedererlangt werden, wenn nach Ablauf einer bestimmten Frist (nämlich fünf Jahren im Fall der Klägerin) die Eintragung des Eignungsmangels aus dem deutschen Fahreignungsregister getilgt wurde. Somit kann die Klägerin nach Ablauf dieser Frist erneut von ihrem Führerschein in Deutschland Gebrauch machen, ohne ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorlegen zu müssen. Infolgedessen stehen die deutschen Bestimmungen der Anerkennung des Führerscheins der Klägerin offenbar nicht unbegrenzt entgegenstehen.
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