20.04.2017

Die am 19.4.2017 veröffentlichten Entscheidungen des BFH im Volltext

Am Mittwoch hat der BFH wieder zahlreiche wichtige Entscheidungen für die verschiedenen Rechtsgebiete des Steuerrechts veröffentlicht. Die Leitsätze haben wir Ihnen in der nachfolgenden Übersicht kompakt zusammengestellt. Mit den Auswirkungen und Konsequenzen setzen sich die Autoren unserer steuerrechtlichen Zeitschriften vertiefend auseinander.

BFH 22.2.2017, III R 9/16
Häusliches Arbeitszimmer eines Selbständigen
Bei einem Selbständigen können die räumlichen Verhältnisse in seinen betrieblichen Räumen dazu führen, dass ihm dort kein zumutbarer anderer Arbeitsplatz für die Erledigung von Bürotätigkeiten zur Verfügung steht mit der Folge, dass ein Betriebsausgabenabzug für ein häusliches Arbeitszimmer möglich wird.

EStG § 4 Abs. 5 Nr. 6b

Im Streitfall ging es um einen selbständigen Logopäden, der seine Tätigkeit in zwei Praxen in angemieteten Räumen ausübte, die weit überwiegend von seinen vier Angestellten genutzt wurden. Für Verwaltungsarbeiten nutzte er ein häusliches Arbeitszimmer und machte hierfür einen auf 1.250 € begrenzten Betriebsausgabenabzug geltend (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG). FG und ihm folgend der BFH erkannten die Arbeitszimmerkosten als Betriebsausgaben an, da eine Erledigung der Büroarbeiten in den Praxisräumen - auch außerhalb der Öffnungszeiten - nicht zumutbar war und ihm somit in seinem Betrieb für die Erledigung der Büroarbeiten kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand.

Der BFH stellte heraus, dass, soweit die Nutzung des Arbeitsplatzes in einer Weise eingeschränkt ist, dass der Steuerpflichtige in seinem häuslichen Arbeitszimmer einen nicht unerheblichen Teil seiner beruflichen oder betrieblichen Tätigkeit verrichten muss, das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG nach seinem Sinn und Zweck nicht zum Tragen kommt. Denn auch der selbständig Tätige kann daher auf ein (zusätzliches) häusliches Arbeitszimmer angewiesen sein. Ob dies der Fall ist, muss im Einzelfall anhand objektiver Umstände geprüft werden.

Anhaltspunkte können sich sowohl aus der Beschaffenheit des Arbeitsplatzes (Größe, Lage, Ausstattung) als auch aus den Rahmenbedingungen seiner Nutzung (Umfang der Nutzungs-möglichkeit, Zugang zum Gebäude, zumutbare Möglichkeit der Einrichtung eines außerhäuslichen Arbeitszimmers) ergeben. Im Streitfall ergab sich aus den tatsächlichen Gegebenheiten (Nutzung der Räume durch die Angestellten, Tätigkeit des Steuerpflichtigen außerhalb der Praxis, die Größe, die Ausstattung, die konkrete Nutzung der Praxisräume durch die vier An-gestellten, Vertraulichkeit der für die Bürotätigkeit erforderlichen Unterlagen und den Um-fang der Büro- und Verwaltungstätigkeiten) eine Unzumutbarkeit der Nutzung der Praxisräume als außerhäusliches Arbeitszimmer. Damit waren die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Betriebsausgabenabzug in beschränkter Höhe mit max. 1.250 € ("keine anderer Arbeitsplatz...") erfüllt.

BFH 10.8.2016, I R 25/15
Bilanzierung von Verbindlichkeiten bei Rangrücktritt
Eine Verbindlichkeit, die nach einer im Zeitpunkt der Überschuldung getroffenen Rangrücktrittsvereinbarung nur aus einem zukünftigen Bilanzgewinn und aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss zu tilgen ist, unterliegt dem Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG. Der hierdurch ausgelöste Wegfallgewinn ist, sofern er auf dem Gesellschaftsverhältnis beruht, durch den Ansatz einer Einlage in Höhe des werthaltigen Teils der betroffenen Forderungen zu neutralisieren.

EStG § 5 Abs. 1, Abs. 2a
GewStG § 7
KStG § 8 Abs. 1

Bereits mit Urteil v. 15.4. 2015 - I R 44/14, BStBl II 2015, 769 hatte der I. Senat des BFH entschieden, dass eine Verbindlichkeit, die nach einer im Zeitpunkt der Überschuldung getroffenen Rangrücktrittsvereinbarung nur aus einem zukünftigen Bilanzgewinn und aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss zu tilgen ist, dem Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG unterliegt. An dieser im Schrifttum teilweise umstrittenen Auffassung hält der I. Senat auch nach erneuter Überprüfung fest.

Mit Rücksicht auf das Gebot des vollständigen Vermögensausweises (§ 246 Abs. 1 HGB) führt allein die Vermögenslosigkeit des Schuldners nicht dazu, eine rechtlich bestehende Verpflichtung aus dem handels- oder steuerrechtlichen Abschluss auszubuchen. Gleiches gilt für den Fall, dass eine Rangrücktrittsvereinbarung die Verpflichtung bestehen lässt, die subordinierten Gesellschafterforderungen aus dem nach Begleichung der vorrangigen Ansprüche verbleibenden sog. freien Vermögen zu tilgen.

Daher ist ein steuerrechtliches Passivierungsverbot erst dann zu bejahen, wenn der Rangrück-tritt nach Maßgabe der Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs.2a EStG in dem Sinne spezifiziert wird, dass die hiervon betroffenen Verpflichtungen nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, und deshalb deren Passivierung daran gebunden ist, dass Einnahmen oder Gewinne angefallen sind.

Den Anforderungen des § 5 Abs. 2a EStG ist aber nicht nur genügt, wenn der Rangrücktritt eine Tilgung nur aus zukünftigen Jahresüberschüssen oder Steuerbilanzgewinnen vorsieht. Vielmehr rechnet hierzu auch eine im Zeitpunkt der Überschuldung getroffene Abrede, nach der Forderungen aus zukünftigen handelsrechtlichen Bilanzgewinnen zu begleichen sind.

Der durch die Ausbuchung der Gesellschafterforderung in der Steuerbilanz entstehende Weg-fallgewinn ist im Falle seiner Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis durch eine Ein-lage zu kompensieren, die nach dem Teilwert der Gesellschafterforderungen, nicht jedoch nach deren Nennwert zu bemessen ist. Denn bei einem auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Verzicht eines Gesellschafters auf seine nicht mehr vollwertige Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft ist die Einlage in Höhe des Teilwerts der Forderung anzusetzen. Entsprechendes gilt auch für den Fall eines Rangrücktritts.

BFH 20.12.2016, I R 4/15
Überversorgung bei Pensionsrückstellungen
Der BFH hält an den in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der sog. Überversorgungsprüfung bei der stichtagsbezogenen Bewertung von Pensionsrückstellungen fest.

EStG § 6a

Eine Pensionsrückstellung ist höchstens mit ihrem Teilwert anzusetzen (§ 6a Abs. 3 EStG). Dabei sind Erhöhungen oder Verminderungen der Pensionsleistungen nach dem Schluss des Wirtschaftsjahrs, die hinsichtlich des Zeitpunkts ihres Wirksamwerdens oder ihres Umfanges ungewiss sind, bei der Berechnung des Barwerts der künftigen Pensionsleistungen und der Jahresbeträge erst zu berücksichtigen, wenn sie eingetreten sind. Entsprechendes gilt für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses des Pensionsberechtigten.

Die hieraus sich ergebende Berechnung des Teilwerts nach dem sog. Stichtagsprinzip lässt sich im Falle einer Zusage von Versorgungsbezügen in Höhe fester Beträge nicht durch eine entsprechend höher bemessene Versorgung umgehen. Eine solche Höherbemessung, die als Vorwegnahme künftiger Entwicklungen anzusehen sein kann, führt als sog. Überversorgung zur anteiligen Kürzung der Pensionsrückstellung, und zwar typisierend dann, wenn (und so-weit) die Versorgungsanwartschaft zusammen mit der Rentenanwartschaft aus der gesetzlichen Rentenversicherung 75 % der am Bilanzstichtag bezogenen Aktivbezüge übersteigt. Im Hinblick auf die Schwierigkeit, die letzten Aktivbezüge und die zu erwartenden Sozialversicherungsrenten zu schätzen, hat der BFH zur Prüfung einer möglichen Überversorgung auf die vom Arbeitgeber während der aktiven Tätigkeit des Begünstigten im jeweiligen Wirtschaftsjahr tatsächlich erbrachten Arbeitsentgelte abgestellt.

An diesen in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen hält der BFH ausdrücklich fest. Er entschied, dass, auch wenn bei der Prüfung stichtagsbezogen auf die "aktuellen Aktivbezüge" des Zusageempfängers abzustellen ist, es bei dauerhafter Herabsetzung der Bezüge geboten sein kann, den Maßstab im Sinne einer zeitanteiligen Betrachtung zu modifizieren. Dabei umfassen die "aktuellen Aktivbezüge" auch variable Gehaltsbestandteile, die im Rahmen einer Durchschnittsberechnung für die letzten fünf Jahre zu ermitteln sind.

Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung prägen das - durch die betriebliche Altersversorgung zu ergänzende - Versorgungsniveau auch dann, wenn sie im Wesentlichen auf eigenen Beitragsleistungen beruhen. Denn der Gesichtspunkt der sog. Überversorgung baut auf der Überlegung auf, dass der Arbeitgeber eine lebensstandardbewahrende Versorgung zusagt, indem er eine "nach der gesetzlichen Rentenversicherung verbleibende Versorgungslücke von etwa 20 bis 30 v.H. der letzten Aktivbezüge" schließt. Insoweit ist es sachgerecht, dass für die Prüfung der Grenze sämtliche am Bilanzstichtag durch den Arbeitgeber vertraglich zugesagten Altersversorgungsansprüche (insbesondere Direktzusage, Direktversicherung) einschließlich der zu erwartenden Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung herangezogen werden. Die gesetzliche Rente ist für eine Mehrzahl der Fälle die tragende Säule der Versorgung. Dies gilt sowohl mit Blick auf die Anspruchshöhe als auch auf die Durchsetzbarkeit des Anspruchs. Im Übrigen lässt sich diese Versorgung durch die zuverlässigen Mitteilungen des gesetzlichen Trägers auch ohne weitere Schwierigkeiten in der Besteuerungspraxis einbeziehen.

BFH 8.12.2016, III R 41/14
Leistungen aus einer Lebensversicherung an Stelle eines Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB
Wurde in einem Versicherungsvertretervertrag vereinbart, dass eine Lebensversicherung auf den Ausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 1, Abs. 5 HGB angerechnet werden soll, richtet sich die steuerrechtliche Behandlung einer Kapitalzahlung, die aufgrund des Lebensversicherungsvertrags nach Erreichen der Altersgrenze geleistet wird, nach den für die Einkünfte aus Kapitalvermögen geltenden Vorschriften.

EStG § 15, § 20 Abs. 1 Nr. 6
HGB § 89b

Im Streitfall ging es um die Frage, wie steuerlich zu verfahren ist, wenn eine Lebensversicherung auf einen Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB angerechnet wird. Der als Versicherungsvertreter tätige Steuerpflichtige hatte mit den beiden Versicherungsunternehmen, für die er tätig gewesen war, vereinbart, dass er zur Altersversorgung Lebensversicherungsleistungen erhalten sollte, die auf den Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB angerechnet werden sollten. Das FA war der Auffassung, dass die ausgezahlten Lebensversicherungsleistungen zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führten und entsprechend zu versteuern waren.

Der BFH sah dies jedoch anders und entschied, dass der Anspruch auf Altersversorgung auch als solcher zu behandeln ist und auch nicht allein deshalb, weil er im Streitfall im Wesentlichen an die Stelle des Ausgleichsanspruchs nach §89b HGB getreten war, den Einkünften aus Gewerbebetrieb i.S. des §15 EStG zugerechnet werden kann.

Die von den beiden Versicherungsgesellschaften geleisteten Beiträge zur Altersversorgung waren eine Gegenleistung für die Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Versicherungsvertreter und von ihm als Betriebseinnahmen erfasst worden. Dies hatte jedoch nicht zur Folge, dass die Ansprüche aus den Lebensversicherungsverträgen deshalb dem Betriebs- und nicht dem Privatvermögen des Steuerpflichtigen zuzuordnen waren. Denn für die Frage der Zuordnung ist vielmehr grundsätzlich auf die Natur des versicherten Risikos abzustellen.

Der Abschluss einer Lebensversicherung ist in der Regel privat veranlasst, so dass Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag grundsätzlich zum Privatvermögen gehören. Entsprechend war der Zinsanteil, der in den Auszahlungsbeträgen enthalten war, Gegenleistung für die Kapitalüberlassung und damit dem Grunde nach den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzuordnen.

Beraterhinweis: Die Verneinung von Einkünften aus Gewerbebetrieb und die grundsätzliche Zuordnung der Zinsen zu den Einkünften aus Kapitalvermögen hatte im Streitfall des weiteren zur Folge, dass die Zinsen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG steuerfrei blieben.

Verlag Dr. Otto Schmidt