Dieselsoftware: Audi-Käufer kann Kauf rückabwickeln
LG Heilbronn 15.8.2017, 9 O 111/16Der Kläger bestellte bei der Beklagten, einer Audi-Händlerin, im Januar 2014 einen neuen Audi Q3 2,0 TDI zum Kaufpreis von 29.200 €. Die Übergabe des Fahrzeuges erfolgte im Februar 2014. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 ausgestattet. Dieser Motor ist mit einer Software ausgestattet, die, je nachdem, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder in realem Fahrbetrieb befindet, unterschiedliche Abgasreinigungsmodi in Gang setzt. Auf einem Prüfstand wird im "Modus 1" eine hohe Abgasrückführungsrate erzielt und ein entsprechend niedriger Ausstoß von Stickoxiden. Im realen Fahrbetrieb ist im "Modus 0" die Abgasrückführungsrate niedriger.
Mit Anwaltsschreiben erklärte der Kläger im Juli 2016 Anfechtung und Rücktritt vom Kaufvertrag und begehrte unter Fristsetzung Rückzahlung des Kaufpreises, Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, das Fahrzeug sei technisch sicher und fahrbereit und erklärte Verjährungsverzicht bis 31.12.2017. Das Fahrzeug war wegen einer inzwischen abgelösten Fremdfinanzierung zunächst sicherungsübereignet, weshalb der Kläger zunächst mit der im Oktober 2016 eingereichten Klage Feststellung der Umwandlung des Kaufverhältnisses in ein Abwicklungsverhältnis beantragt hat. Mit Schriftsatz von März 2017 wurde Leistungsantrag gestellt.
Das LG gab der Klage teilweise statt. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Es wurde Berufung eingelegt.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von rd. 22.200 € aus §§ 346 Abs. 1, 437 Nr. 2, 440, 323 BGB.
Das erworbene Fahrzeug war bei Übergabe mit einem Sachmangel behaftet, da es nicht die Beschaffenheit aufwies, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten konnte, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB. Der Zweck der vom Kläger beanstandeten Umschaltsoftware, die die Abgasrückführung in zwei verschiedenen Modi betreibt, je nachdem, ob es sich auf dem Prüfstand (Modus 1) oder im realen Fahrbetrieb (Modus 0) befindet, besteht einzig darin, niedrigere Abgaswerte vorzutäuschen. Mit einer solchen Umschaltsoftware versehene Fahrzeuge sind nicht vorschriftsmäßig. Das Vorhandensein der Umschaltsoftware im System des erworbenen Fahrzeuges stellt eine negative Abweichung von der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Fahrzeuge dar. Der Käufer eines Neufahrzeuges darf objektiv erwarten, dass in dem von ihm erworbenen Fahrzeug eine solche, auf Täuschung der zuständigen Kontrollinstanzen angelegte und vorschriftswidrige Vorrichtung nicht vorhanden ist.
Beworben wurden die Fahrzeuge vom Hersteller mit den Abgaswerten, die sie im Testbetrieb (Modus 1) erreicht hatten. Dieses ist eine Beschaffenheitsgarantie i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, da auch der Beklagten diese Werte bekannt waren. Die Genehmigung des Software-Updates durch das Kraftfahrtbundesamt ist offensichtlich auch politisch motiviert und dient dem Schutz eines systemrelevanten Motorenherstellers. Sie besagt gerade nichts darüber, ob das Fahrzeug nach dem Software-Update die beim Verkauf zugesagte Beschaffenheit erreicht. Zur Überzeugung des Gerichts ist das auch nicht der Fall. Die Ingenieure der Motorenentwicklung hätten, wenn sie durch das jetzige Update die Möglichkeit gesehen hätten, die zugesagten Abgaswerte zu erreichen, dieses Update gleich bei der Produktion des Motors eingebaut. Es wurde vielmehr "geschummelt", um den Test zu bestehen, sodann das Fahrzeug mit den bei einem korrekten Test nicht erreichbaren Abgaswerten beworben und damit auch mit dieser - nicht erreichbaren - Beschaffenheit verkauft.
Dieses System kann nur als flächendeckendes Betrugssystem bewertet werden, das zu einem so erheblichen Vertrauensverlust gegenüber Dieselmotoren des Herstellers VW führt, dass ein nicht nachbesserbarer merkantiler Minderwert nach den Gesetzen des freien Marktes offensichtlich gegeben ist. Die betroffenen Fahrzeuge sind auf dem Gebrauchtwagenmarkt nur mit erheblichem Abschlag zu veräußern. Dieselmotoren gelten seit dem Abgasskandal als Sündenböcke insbesondere für die Feinstaubbelastung. Verschiedene Städte erwägen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, die auch die EURO 5 Norm nach dem Software-Update treffen werden. Vielleicht wird sich auch in der Automobilindustrie die Erkenntnis durchsetzen, dass lediglich eine Hardware-Lösung zumindest bei den EURO-5-Fahrzeugen, kostenmäßig derzeit diskutiert zwischen 1.500 bis 2.000 €, den erforderlichen Schritt für eine umweltgerechte Lösung bringen wird.
Der vom Kläger erklärte Rücktritt ist wirksam. Nach allem steht der Klägerin in der Rechtsfolge ihres erklärten Rücktritts gem. § 346 Abs. 1 BGB die Rückzahlung des Kaufpreises abzgl. der gezogenen Nutzungen als Wertersatz (§ 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) zu, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges. Der Nutzungsersatz wird bei Neufahrzeugen ermittelt, indem der Bruttokaufpreis mit den gefahrenen Kilometern multipliziert und das Ergebnis durch die Gesamtlaufleistung geteilt wird. Die Gesamtfahrleistung des streitgegenständlichen Fahrzeuges mit dem Motor EA 189 liegt bei etwa 250.000 km. Die Laufleistung des Fahrzeuges betrug zum Schluss der mündlichen Verhandlung unbestritten 60.300 km. Daraus errechnet sich ein Nutzungsvorteil von rd. 7.000 € (29.200 € x 60.300 km : 250.000 km) der von dem Kaufpreis abzuziehen ist. Hiernach steht der Klägerin ein Betrag von rd. 22.000 € zu.
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