Einkommensteuerschuld als Nachlassverbindlichkeit
Kurzbesprechung
BFH v. 11.7.2019 - II R 36/16
ErbStG § 10 Abs. 5 Nr. 1
AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Im Streitfall war die Steuer für den nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerpflichtigen Erwerb der Steuerpflichtigen von Todes wegen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit dem Tode des Erblassers entstanden. Für die Ermittlung der nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG als steuerpflichtiger Erwerb geltenden Bereicherung des Erwerbers gilt als Bereicherung der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert des gesamten Vermögensanfalls, soweit er der Besteuerung nach diesem Gesetz unterliegt, die nach den Absätzen 3 bis 9 abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten mit ihrem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert abgezogen werden (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG).
Als Nachlassverbindlichkeiten sind u.a. abzugsfähig die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb, Anteil an einem Gewerbebetrieb, Betrieb der Land- und Forstwirtschaft oder Anteil an einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit berücksichtigt worden sind (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG). Dazu gehören auch die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die nach § 1922 Abs. 1 BGB i.V.m. § 45 Abs. 1 AO auf den Erben übergegangen sind. Einkommensteuerschulden sind keine Betriebs-, sondern persönliche Schulden und können daher nicht in die Bewertung des Anteils an einer KG eingegangen sein, der ebenfalls im Erbgang auf die Erben übergegangen ist. Der Abzugsausschluss des § 10 Abs. 5 Satz 1 ErbStG greift daher nicht ein.
Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören diejenigen Steuerschulden, die im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits rechtlich entstanden waren. Namentlich die Einkommensteuer entsteht grundsätzlich gemäß § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG gehören aber nicht nur die Steuerschulden, die zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtlich entstanden waren, sondern auch die Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen. Die Festsetzung der Steuer ist nicht Voraussetzung ihrer Entstehung, sondern setzt nach § 85 Satz 1 AO die Entstehung voraus.
Steuerschulden können aber wie andere Nachlassverbindlichkeiten nur dann abgezogen werden, wenn sie im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben. Daran fehlt es, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse in diesem Zeitpunkt nicht damit gerechnet werden konnte, dass der Steuergläubiger seine Forderung geltend machen werde.
Fehlt die wirtschaftliche Belastung, findet der Abzug nicht statt. Die Abziehbarkeit von Steuerschulden wie auch die wirtschaftliche Belastung durch die Steuerschuld hängt regelmäßig nicht davon ab, ob die Steuern beim Erbfall bereits festgesetzt waren oder nicht. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Finanzbehörden entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festsetzen werden (§ 85 AO), so dass die als Nachlassverbindlichkeit abziehbare Steuerschuld für die Festsetzung der Erbschaftsteuer eigenständig zu ermitteln sei. Das folgt aus dem erbschaftsteuerrechtlichen Stichtagsprinzip (§ 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), das die Wertermittlung einschließlich der Feststellung, welche Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 bis 9 ErbStG abziehbar sind, dem Stichtag zuweist.
Die Annahme, dass Steuerschulden in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festgesetzt werden, gilt aber nicht ausnahmslos. In Steuerhinterziehungsfällen ist die wirtschaftliche Belastung im Todeszeitpunkt zu verneinen, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse in diesem Zeitpunkt angenommen werden konnte, dass der Steuergläubiger seine Forderung nicht geltend machen werde. Dies gilt etwa dann, wenn der Steuerpflichtige steuererhebliche Sachverhalte bewusst verheimlicht und mit Inanspruchnahme selbst nicht gerechnet hatte bzw. die Steuerbehörden in einem Auslandssachverhalt noch nicht einmal die theoretische Möglichkeit hatten, von den Steueransprüchen zu erfahren.
Diese Einschränkung gilt nicht nur für die Steuerhinterziehung. Es sind auch weitere Konstellationen denkbar, in denen objektiv nicht mit einer Geltendmachung der Steuerforderung (und damit einer Festsetzung) zu rechnen ist. Das betrifft namentlich Fälle, in denen nach dem Todeszeitpunkt eine Änderung von Verwaltungsauffassung oder Rechtsprechung zu Lasten des Steuerpflichtigen zu verzeichnen ist. In solchen Fällen werden später Steuerforderungen geltend gemacht, mit denen zum Todeszeitpunkt objektiv niemand rechnen konnte.
Ändern sich die Verhältnisse nachträglich in der Weise, dass entgegen der Erwartung zum Todeszeitpunkt mit einer Geltendmachung der Steuerforderung zu rechnen ist, ist dies ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. So wie diese nach dem Todeszeitpunkt erstmals eintretenden Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten rückwirkende Ereignisse sind, gilt dies ebenso für die wirtschaftliche Belastung, wenn sie erstmals nach dem Todeszeitpunkt entsteht.
Der BFH wies den Streitfall an die Vorinstanz zurück, da Feststellungen zu der Frage fehlten, mit welcher Einkommensteuerfestsetzung zum Todeszeitpunkt zu rechnen war und ob und ggf. wann sich insoweit später die Verhältnisse geändert haben könnten.
Verlag Dr. Otto Schmidt
ErbStG § 10 Abs. 5 Nr. 1
AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Im Streitfall war die Steuer für den nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerpflichtigen Erwerb der Steuerpflichtigen von Todes wegen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit dem Tode des Erblassers entstanden. Für die Ermittlung der nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG als steuerpflichtiger Erwerb geltenden Bereicherung des Erwerbers gilt als Bereicherung der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert des gesamten Vermögensanfalls, soweit er der Besteuerung nach diesem Gesetz unterliegt, die nach den Absätzen 3 bis 9 abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten mit ihrem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert abgezogen werden (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG).
Als Nachlassverbindlichkeiten sind u.a. abzugsfähig die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb, Anteil an einem Gewerbebetrieb, Betrieb der Land- und Forstwirtschaft oder Anteil an einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit berücksichtigt worden sind (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG). Dazu gehören auch die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die nach § 1922 Abs. 1 BGB i.V.m. § 45 Abs. 1 AO auf den Erben übergegangen sind. Einkommensteuerschulden sind keine Betriebs-, sondern persönliche Schulden und können daher nicht in die Bewertung des Anteils an einer KG eingegangen sein, der ebenfalls im Erbgang auf die Erben übergegangen ist. Der Abzugsausschluss des § 10 Abs. 5 Satz 1 ErbStG greift daher nicht ein.
Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören diejenigen Steuerschulden, die im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits rechtlich entstanden waren. Namentlich die Einkommensteuer entsteht grundsätzlich gemäß § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG gehören aber nicht nur die Steuerschulden, die zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtlich entstanden waren, sondern auch die Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen. Die Festsetzung der Steuer ist nicht Voraussetzung ihrer Entstehung, sondern setzt nach § 85 Satz 1 AO die Entstehung voraus.
Steuerschulden können aber wie andere Nachlassverbindlichkeiten nur dann abgezogen werden, wenn sie im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben. Daran fehlt es, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse in diesem Zeitpunkt nicht damit gerechnet werden konnte, dass der Steuergläubiger seine Forderung geltend machen werde.
Fehlt die wirtschaftliche Belastung, findet der Abzug nicht statt. Die Abziehbarkeit von Steuerschulden wie auch die wirtschaftliche Belastung durch die Steuerschuld hängt regelmäßig nicht davon ab, ob die Steuern beim Erbfall bereits festgesetzt waren oder nicht. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Finanzbehörden entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festsetzen werden (§ 85 AO), so dass die als Nachlassverbindlichkeit abziehbare Steuerschuld für die Festsetzung der Erbschaftsteuer eigenständig zu ermitteln sei. Das folgt aus dem erbschaftsteuerrechtlichen Stichtagsprinzip (§ 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), das die Wertermittlung einschließlich der Feststellung, welche Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 bis 9 ErbStG abziehbar sind, dem Stichtag zuweist.
Die Annahme, dass Steuerschulden in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festgesetzt werden, gilt aber nicht ausnahmslos. In Steuerhinterziehungsfällen ist die wirtschaftliche Belastung im Todeszeitpunkt zu verneinen, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse in diesem Zeitpunkt angenommen werden konnte, dass der Steuergläubiger seine Forderung nicht geltend machen werde. Dies gilt etwa dann, wenn der Steuerpflichtige steuererhebliche Sachverhalte bewusst verheimlicht und mit Inanspruchnahme selbst nicht gerechnet hatte bzw. die Steuerbehörden in einem Auslandssachverhalt noch nicht einmal die theoretische Möglichkeit hatten, von den Steueransprüchen zu erfahren.
Diese Einschränkung gilt nicht nur für die Steuerhinterziehung. Es sind auch weitere Konstellationen denkbar, in denen objektiv nicht mit einer Geltendmachung der Steuerforderung (und damit einer Festsetzung) zu rechnen ist. Das betrifft namentlich Fälle, in denen nach dem Todeszeitpunkt eine Änderung von Verwaltungsauffassung oder Rechtsprechung zu Lasten des Steuerpflichtigen zu verzeichnen ist. In solchen Fällen werden später Steuerforderungen geltend gemacht, mit denen zum Todeszeitpunkt objektiv niemand rechnen konnte.
Ändern sich die Verhältnisse nachträglich in der Weise, dass entgegen der Erwartung zum Todeszeitpunkt mit einer Geltendmachung der Steuerforderung zu rechnen ist, ist dies ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. So wie diese nach dem Todeszeitpunkt erstmals eintretenden Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten rückwirkende Ereignisse sind, gilt dies ebenso für die wirtschaftliche Belastung, wenn sie erstmals nach dem Todeszeitpunkt entsteht.
Der BFH wies den Streitfall an die Vorinstanz zurück, da Feststellungen zu der Frage fehlten, mit welcher Einkommensteuerfestsetzung zum Todeszeitpunkt zu rechnen war und ob und ggf. wann sich insoweit später die Verhältnisse geändert haben könnten.