Entzogene Gesundheitssorge: Auskunftsanspruch eines Elternteils über die persönlichen Verhältnisse des Kindes
BGH 26.7.2017, XII ZB 85/17Der Antragsteller begehrt als Vater des im Juli 2004 geborenen betroffenen Kindes vom Kreisjugendamt (Antragsgegner) als Ergänzungspfleger Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes. Den geschiedenen, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern ist die elterliche Sorge in den Teilbereichen Gesundheitssorge, Recht zur Beantragung von Jugendhilfe und Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und der Antragsgegner insoweit als Ergänzungspfleger bestellt worden. Das Kind, das zeitweilig bei den Großeltern väterlicherseits und bei der Mutter lebte, befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung. Zwischen Antragsteller und Kind finden regelmäßige Umgangskontakte statt. Der Antragsteller begehrte vom Antragsgegner zunächst allgemein Auskunft über die gesundheitliche Situation des Kindes begehrt.
Das AG - Rechtspflegerin - wies den Antrag zurück. Auf die Beschwerde des Antragstellers verpflichtete das OLG den Antragsgegner, dem Antragsteller Auskunft über die Diagnose, die zur psychotherapeutischen Therapie führte, sowie über Art und Umfang der Therapie zu erteilen. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hob der BGH den Beschluss des OLG auf, soweit der Antragsgegner zur Auskunft verpflichtet worden ist, und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
§ 1686 BGB kann mit Blick auf den Gesetzeszweck in entsprechender Anwendung einem Elternteil zur Befriedigung seines aus dem von Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG geschützten Elternrecht fließenden berechtigten Informationsinteresses auch einen Auskunftsanspruch gegenüber Anspruchsgegnern gewähren, die zwar nicht Elternteil, aber in ihrer rechtlichen oder tatsächlichen Stellung einem Elternteil vergleichbar sind. Als Auskunftspflichtiger kommt insbesondere das zum Ergänzungspfleger bestellte Jugendamt in Betracht. Dies gilt auch im Verhältnis des Pflegers zum anderen eigentlich zur Auskunft verpflichteten Elternteil, sofern dieser zu einer Auskunft aufgrund der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls nicht in der Lage ist.
Nach diesen Maßstäben hat das OLG den Antragsgegner zutreffend als Anspruchsgegner für den Auskunftsanspruch angesehen. Der Antragsgegner ist als Pfleger Inhaber der Gesundheitssorge und verfügt als solcher über die notwendigen Informationen. Der Antragsgegner kann auch nicht auf die insoweit nicht sorgeberechtigte Mutter als vorrangige Auskunftsperson verweisen. Die Mutter hat die Auskunft zu Recht verweigert. Denn selbst wenn sie Kenntnisse über die Psychotherapie des Kindes hätte, unterläge deren Preisgabe nicht ihrer Entscheidung, sondern der Entscheidung des insoweit sorgeberechtigten Antragsgegners. Dieser ist aufgrund der ihm obliegenden Gesundheitssorge auch allein befugt, vom behandelnden Therapeuten Informationen zu erhalten und diesen etwa von der Schweigepflicht zu entbinden. Dementsprechend richtet sich der Auskunftsanspruch über die Psychotherapie des Kindes im vorliegenden Fall nicht gegen die Mutter, sondern gegen den Antragsgegner.
Die Rechtsbeschwerde rügt indessen mit Recht, dass das OLG auf der Grundlage seiner bisherigen Ermittlungen einen Widerspruch der Auskunftserteilung zum Kindeswohl verneint hat. Das OLG hat insoweit ausgeführt, die Auskunftsverpflichtung erfahre lediglich eine Beschränkung mit Rücksicht auf das Kindeswohl, soweit es um Umstände aus der Privat- und Intimsphäre gehe, die bereits in den Entscheidungsbereich des Minderjährigen selbst fielen. Damit hat es die Reichweite des in § 1686 BGB enthaltenen Kindeswohlvorbehalts und der dementsprechenden gerichtlichen Amtsermittlungspflicht verkannt. Ein Widerspruch zum Kindeswohl kann vielmehr auch bei solchen Belangen eintreten, die noch nicht in den persönlichen Entscheidungsbereich des Minderjährigen fallen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn zu besorgen ist, dass der Auskunftsberechtigte die Auskunft in einer Weise verwenden wird, die zu einer Beeinträchtigung des Kindeswohls führt, insbesondere wenn Übergriffe in die elterliche Sorge zu befürchten sind.
Wie der Antragsgegner zu Recht rügt, hätte das OLG der geäußerten Befürchtung nachgehen müssen, dass der Antragsteller nach Erteilung der Auskunft direkten Einfluss auf die Therapie des Kindes nehmen werde und bei dem psychisch labilen Kind ungeachtet der ihm entzogenen Gesundheitssorge einen Therapieabbruch provoziere. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung bedurfte es weitergehender Rügen der Rechtsbeschwerde schon deswegen nicht, weil die Entscheidung auf einer unzutreffenden Beurteilung des Kindeswohlvorbehalts in § 1686 BGB und somit auf einem Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts beruht. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben, soweit der Antragsgegner zur Auskunft verpflichtet worden ist. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind. Das OLG wird die Beteiligten einschließlich des Kindes persönlich anzuhören und sodann erneut zu entscheiden haben, ob und ggf. in welchem Umfang auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls eine Auskunftsverpflichtung des Antragsgegners besteht.
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