Erbeinsetzung im gemeinschaftlichen Ehegattentestament kann lebzeitige Schenkungen einschränken
OLG Hamm 12.9.2017, 10 U 75/16Der Kläger ist Erbe seines im Jahre 2014 im Alter von 97 Jahren verstorbenen Vaters und Erblassers. Dieser und die im Jahre 2005 im Alter von 84 Jahren verstorbene Mutter des Klägers hatten diesen in einem im Jahre 1961 errichteten und im Jahre 2000 geänderten gemeinschaftlichen Testament zum Schlusserben des längstlebenden Ehegatten eingesetzt. Nach dem Tode der Mutter lernte der Vater die heute 78 Jahre alte Beklagte kennen, mit der er seit 2010 in einem Haushalt zusammenlebte. Auf Wunsch des Vaters vereinbarte der Kläger mit der Beklagten im Jahre 2010 ein lebenslanges Wohnrecht an einer im Eigentum des Klägers stehenden Wohnung unter der Bedingung, dass die Beklagte den Vater bis zu dessen Tode oder bis zu einer Heimaufnahme pflege und in Bezug auf das von ihr und dem Vater bewohnte Haus keine Besitzansprüche stelle.
In der Folgezeit übertrug der Vater der Beklagten verschiedene Vermögensgegenstände (u.a. Fondsbeteiligungen, Schuldverschreibungen Genussrechte, Lebensversicherungen) im Wert von rd. 222.000 €. Aus diesen erhielt die Beklagte Dividenden i.H.v. rd. 23.500 €. Durch Barabhebungen erlangte die Beklagte weitere 50.000 € aus dem Vermögen des Erblassers. Der Kläger verlangt nunmehr von der Beklagten die Herausgabe der genannten Vermögenswerte. Er ist der Ansicht, die Zuwendungen seien als sein Erbteil beeinträchtigende Schenkungen rückabzuwickeln. Die Beklagte hat eine Beeinträchtigungsabsicht des Erblassers bestritten und behauptet, dieser habe ihr die Vermögenswerte aus Dankbarkeit für und zur Sicherstellung weiterer intensiver Pflege übertragen. Den Erblasser habe sie seit ihrem Einzug in dessen Wohnung intensiv - quasi 24 Stunden am Tag - gepflegt und betreut.
Das OLG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte zur Übertragung der ihr zugewandten Vermögenswerte und zur Rückzahlung der von ihr erlangten Gelder.
Die Gründe:
Der Erblasser hat der Beklagten die Vermögenswerte geschenkt. Diese Schenkungen haben die Erberwartung des Klägers beeinträchtigt und waren nicht durch ein - eine Benachteiligungsabsicht ausschließendes - anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Vaters veranlasst.
Nach dem Tode der Mutter musste der Vater die Einsetzung des Klägers als Schlusserbe beachten. Die Erbeinsetzung beruhte auf einer wechselbezüglichen Verfügung beider Ehegatten, an die der Überlebende nach dem Tode des erstversterbenden Ehegatten gebunden ist. Die streitgegenständlichen Zuwendungen hat die Beklagte als Schenkungen erhalten. Dass sie als Gegenleistung für die erbrachten oder erwarteten Pflegeleistungen vertraglich vereinbart waren, hat die Beklagte nicht schlüssig vorgetragen.
Der Erblasser hat bei der Schenkung auch mit Benachteiligungsabsicht gehandelt. Orientiert am Schutzzweck des Gesetzes sind an das Vorliegen der Benachteiligungsabsicht zunächst nur geringe Anforderungen zu stellen. Die Beeinträchtigung des Vertragserben muss nicht das einzige oder leitende Motiv für die Schenkung gewesen sein. Vielmehr genügt es, dass der Erblasser weiß, dass er durch die unentgeltliche Zuwendung das Erbe schmälert. Zur Feststellung einer Benachteiligungsabsicht ist allerdings durch eine Abwägung der beteiligten Interessen zu prüfen, ob der Erblasser ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse an der Zuwendung hat. Nur in diesem Fall muss der Erbe die seine Erberwartung beeinträchtigende Zuwendung hinnehmen.
Ein derartiges Eigeninteresse kann zwar vorliegen, wenn ein Erblasser mit einer Schenkung seine Altersvorsorge und Pflege sichern will. Vorliegend hat die Beklagte allerdings ein diesbezügliches, anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers nicht schlüssig darlegen können. Unter Berücksichtigung der Dividenden geht es um Schenkungen im Wert von rd. 250.000 € an die Beklagte, die den Nachlass weitgehend wertlos gemacht haben. Dem stehen behauptete Pflege- und Haushaltsleistungen über einen Zeitraum von rd. vier Jahren gegenüber.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte während dieser Zeit ohnehin in vollem Umfang freie Kost und Logis vom Erblasser erhalten hat sowie auf Kosten des Erblassers mit ihm gemeinsam gereist ist. Außerdem hat ihr der Kläger für die Zeit nach dem Tode des Erblassers ein Wohnrecht zugesagt. Vor diesem Hintergrund rechtfertigen die von der Beklagten behaupteten Pflege- und Haushaltsleistungen die infrage stehenden Schenkungen nicht. Zudem hat die Beklagte dem Kläger die vereinnahmten Dividenden sowie die Barabhebungen zu erstatten. Dass sie diese Beträge dem Erblasser ausgehändigt oder in seinem Sinne ausgegeben hat, ist von der Beklagten nicht nachvollziehbar dargetan worden.