15.09.2016

Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben in Wiedereinsetzungsanträgen können nach Fristablauf mit der Rechtsbeschwerde ergänzt werden

Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben in einem Wiedereinsetzungsantrag können nach Fristablauf mit der Rechtsbeschwerde ergänzt werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn ihre Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre.

BGH 16.8.2016, VI ZB 19/16
Der Sachverhalt:
Der Kläger legte gegen das ihm am 22.10.2015 zugestellte Urteil des AG rechtzeitig Berufung ein. Durch Schriftsatz vom 1.12.2015 begründete der Kläger die Berufung. Der Schriftsatz ging im Wege der Faxübermittlung am 23.12.2015 bei dem LG ein; der mit der Post übersandte Originalschriftsatz erreichte das LG am 4.1.2016. Auf den ihm am 8.1.2016 zugegangenen Hinweis des Kammervorsitzenden über den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung beantragte der Kläger mit am 22.1.2016 bei dem LG eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.

Zur Begründung führte er - unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der bei seinem Prozessbevollmächtigten angestellten Rechtsanwaltsfachangestellten W - aus: Sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung im Anschluss an ein letztes Mandantengespräch mit ihm am 1.12.2015 um 11 Uhr fertiggestellt und nach Ausfertigung unterschrieben. Am selben Tag habe W den Schriftsatz zur Post gegeben und abgeschickt. Weil die im Fristenkalender falsch auf den 23.12.2015 eingetragene Frist trotz Erledigung nicht gestrichen worden sei, habe eine weitere Angestellte an diesem Tag zur Sicherheit beim LG angerufen, ob der Schriftsatz eingegangen sei. Da dies nicht der Fall gewesen sei, habe man die Berufungsbegründung nochmals abgeschickt.

Das LG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurück und verwarf die Berufung des Klägers als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Das LG hat gegen § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen, indem es die Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs für unzureichend erachtet hat, ohne den Kläger hierauf hinzuweisen.

Die Partei muss im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gem. § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht. Alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, müssen grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden (§ 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 S. 1 ZPO). Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen jedoch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden.

Danach hätte das LG dem Kläger Gelegenheit zur Ergänzung seines Vorbringens zu den Umständen der Postaufgabe geben müssen (§ 139 Abs. 1 ZPO). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat ausgeführt, die Berufungsbegründung sei von seiner Angestellten W zur Post gegeben und abgeschickt worden. W hat an Eides statt versichert, den ausgefertigten und unterschriebenen Schriftsatz am 1.12.2015 zur Post gegeben zu haben, bevor sie pünktlich um 13 Uhr habe gehen müssen. Angesichts dieser Darstellung und dem zeitlichen Puffer bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 22.12.2015 durfte das LG nicht ohne ausdrücklichen Hinweis von ungenügenden Angaben zu den Umständen der Postaufgabe ausgehen. Entgegen der Auffassung des LG ist insbesondere keine Sachlage gegeben, nach der ein Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO deshalb entbehrlich wäre, weil es an einem konkreten Vortrag insgesamt gefehlt hätte.

Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung - wie hier - nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, können nach Ablauf der Antragsfrist mit der Rechtsbeschwerde ergänzt werden. W hat nunmehr an Eides statt versichert, dass sie die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unterschriebene Berufungsbegründung am Vormittag des 1.12.2015 ordnungsgemäß einkuvertiert und frankiert und sodann zunächst in den Postausgangskorb gelegt habe. Mit Feierabend gegen 13 Uhr habe sie dann die gesamte Post einschließlich der Berufungsbegründung dem Postausgangskorb entnommen und in den Briefkasten vor dem Rathaus Seligenstadt, der nur rd. 20 Meter von der Kanzlei entfernt sei, eingeworfen. Auf der Grundlage dieser ergänzenden Behauptungen hätte das LG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ablehnen dürfen, weil der Kläger danach mit einem rechtzeitigen Eingang seiner Berufungsbegründung bei dem LG rechnen durfte. Auf die doppelt fehlerhafte Führung des Fristenkalenders kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

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