26.02.2018

Erneute Gebühren für Rechtsanwalt bei Einspruch gegen Versäumnisurteil mehr als zwei Jahre nach Zustellung des Urteils

Das Verfahren über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil und das vorausgegangene Verfahren sind in gebührenrechtlicher Hinsicht dieselbe Angelegenheit. Ein Rechtsanwalt kann jedenfalls in analoger Anwendung von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG erneut Gebühren verlangen, wenn er nach dem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, der mehr als zwei Kalenderjahre nach Zustellung des Urteils eingelegt worden ist, in dem gerichtlichen Verfahren weiter tätig wird.

BGH 16.11.2017, V ZB 152/16
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nahm die Beklagte auf Feststellung der Unwirksamkeit eines notariellen Grundstückskaufvertrags in Anspruch. Das LG verurteilte die Beklagte mit Versäumnisurteil vom 2.6.2008 antragsgemäß, legte ihr die Verfahrenskosten auf und bewilligte die öffentliche Zustellung der Entscheidung. Es setzte im Januar 2009 gegen die Beklagte eine 1,3 Verfahrensgebühr und eine 0,5 Terminsgebühr nebst Auslagen, insgesamt einen Betrag von rd. 13.800 € fest.

Am 24.1.2014 legte die Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein, machte die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung geltend und erhob Widerklage sowie Eventualwiderklage. Das LG hielt das Versäumnisurteil am 29.7.2015 aufrecht, gab der Widerklage im Hilfsantrag statt und erlegte der Beklagten die weiteren Kosten des Rechtsstreits auf. Den Gebührenstreitwert setzte es auf rd. 1,67 Mio. € fest. Die Klägerin verlangt die Festsetzung weiterer Kosten von rd. 20.000 €, darunter eine erneute 1,3 Verfahrensgebühr sowie die 1,2 Terminsgebühr.

Das LG setzte die Kosten antragsgemäß fest. Das OLG änderte den Beschluss ab und setzte weitere Kosten i.H.v. rd. 5.400 € fest. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin hob der BGH den Beschluss des OLG auf und bestätigte ganz überwiegend die Entscheidung des LG.

Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des OLG können die Prozessbevollmächtigten der Klägerin für die Tätigkeit nach dem Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil eine erneute 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG und zusätzlich zu der 0,5 Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV-RVG die 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV-RVG verlangen. Zwar handelt es sich bei dem Verfahren vor und nach dem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil gebührenrechtlich um eine Angelegenheit (§ 15 Abs. 2 RVG). Die Vorschrift des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist aber entsprechend anwendbar, so dass erneute Gebühren für die weitere anwaltliche Tätigkeit entstehen.

Anders als das OLG meint, können die Prozessbevollmächtigten der Klägerin für ihre weitere Tätigkeit deshalb eine erneute Vergütung fordern, weil die Beklagte den Einspruch mehr als zwei Kalenderjahre nach Erlass des Versäumnisurteils eingelegt hat. Es kann dahinstehen, ob das unmittelbar aus § 15 Abs. 5 S. 2 RVG folgt. Die Vorschrift ist jedenfalls analog anwendbar. Nach § 15 Abs. 5 S. 2 RVG gilt die weitere Tätigkeit eines Rechtsanwalts als neue Angelegenheit, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist. Von einer solchen Erledigung des früheren Auftrags der Prozessbevollmächtigten der Klägerin geht das OLG rechtsfehlerfrei aus. Für die Erledigung des Auftrags i.S.v. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist auf die zu § 8 Abs. 1 S. 1 RVG gefundene Definition dieses Begriffs abzustellen.

Danach ist ein Auftrag erledigt, wenn der Anwalt seine Verpflichtungen aus dem Anwaltsvertrag vollständig erfüllt hat. Das ist dann der Fall, wenn von ihm keine weiteren Handlungen in Erfüllung des Auftrags mehr zu erwarten sind. Die Entscheidung der Frage, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Allgemeine Regeln lassen sich dazu nicht aufstellen. Daran gemessen war der von der Klägerin erteilte Anwaltsauftrag erledigt. Die Beklagte hat gegen das am 2.6.2008 ergangene und öffentlich zugestellte Versäumnisurteil nicht innerhalb der vom Gericht nach § 339 Abs. 2 ZPO bestimmten Einspruchsfrist Einspruch eingelegt, und mit einem Einspruch, ggf. i.V.m. einem Wiedereinsetzungsantrag, mussten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin jedenfalls nicht mehr rechnen, nachdem die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO abgelaufen war.

Die Frage, ob § 15 Abs. 5 S. 2 RVG weiter voraussetzt, dass dem Anwalt für die Tätigkeit in dem Verfahren nach dem Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein neuer Auftrag erteilt worden ist, musste vorliegend nicht entschieden werden. Ein Rechtsanwalt kann jedenfalls in analoger Anwendung von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG erneut Gebühren verlangen, wenn er nach dem Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, der mehr als zwei Kalenderjahre nach Zustellung des Urteils eingelegt worden ist, in dem gerichtlichen Verfahren weiter tätig wird. Es kommt nicht darauf an, ob diese Tätigkeit auf einem neuen oder auf dem scheinbar erledigten alten Auftrag beruht. Der § 15 Abs. 5 S. 2 RVG zugrunde liegende Gedanke - der Rechtsanwalt muss sich, weil eine lange Zeit vergangen ist, vollkommen neu einarbeiten - passt auch hier. Wird nach mehr als zwei Kalenderjahren Einspruch gegen ein Versäumnisurteil eingelegt und das Verfahren fortgesetzt, muss ein Rechtsanwalt sich wegen des Zeitablaufs neu in die Angelegenheit einarbeiten. Es wäre unbillig, wenn er für seine weitere Tätigkeit nicht erneut Gebühren erhalten würde.

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