28.10.2011

Euro-Rettungsschirm: Beteiligungsrechte des Bundestags dürfen vorerst nicht auf Sondergremium übertragen werden

Das BVerfG hat auf Antrag mehrere Abgeordneter des Deutschen Bundestags eine einstweilige Anordnung in Sachen Euro-Rettungsschirm erlassen. Danach dürfen die Beteiligungsrechte des Bundestages vorerst nicht auf das sog. 9er-Sondergremium übertragen werden.

BVerfG 27.10.2011, 2 BvE 8/11
Hintergrund:
Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise im Gebiet der Europäischen Währungsunion wurde der Euro-Rettungsschirm geschaffen und die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) gegründet. Diese Zweckgesellschaft erhält Garantien von den Euro-Mitgliedstaaten, um die Mittel an den Kapitalmärkten aufzunehmen, die sie für überschuldete Mitgliedstaaten bereitstellt. Mit dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (StabMechG) vom 22.5.2010 legte der Bundesgesetzgeber auf nationaler Ebene die Voraussetzungen für die Leistung finanziellen Beistands fest.

Im Mai/Juli 2011 kamen die Mitgliedstaaten überein, die vereinbarte maximale Darlehenskapazität der EFSF von 440 Mrd. € in vollem Umfang bereitzustellen. Die europäischen Vereinbarungen wurden in Deutschland durch das am 14.10.2011 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des StabMechG umgesetzt. Dabei wurden u.a. die Beteiligungsrechte des Bundestages neu geregelt. Danach bedürfen Entscheidungen des deutschen Vertreters in der EFSF grundsätzlich der Zustimmung des Bundestages. In Fällen besonderer Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit soll dieses Beteiligungsrecht jedoch gem. § 3 Abs. 3 StabMechG von einem neu zu schaffenden 9er-Gremium ausgeübt werden, deren Mitglieder aus den gegenwärtig 41 Mitgliedern des Haushaltsausschusses zu wählen sind. Am 26.10.2011 hat der Bundestag die neun Mitglieder des Gremiums gewählt (sog. 9er-Sondergremium).

Der Sachverhalt:
Die Antragsteller sind Abgeordnete des Deutschen Bundestages und wenden sich im Wege des Organstreitverfahrens verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die mit der Gesetzesänderung eingeführte Neuregelung der Beteiligung des Bundestages. Sie sehen sich durch die Delegation der parlamentarischen Haushaltsverantwortung auf das 9er-Sondergremium in ihrem Abgeordnetenstatus gem Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG verletzt.

Das BVerfG hat im Wege der einstweiligen Anordnung entschieden, dass bis zur Entscheidung im Organstreitverfahren die Beteiligungsrechte des Bundestages nicht durch das neu konstituierte Gremium wahrgenommen werden dürfen.

Die Gründe:
Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung erforderliche Folgenabwägung ergibt, dass den Antragstellern gewichtige Nachteile entstünden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge und sich das Organstreitverfahren später als begründet erwiese.

Sie könnten zwischenzeitlich in ihren Statusrechten als Abgeordnete aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG irreversibel verletzt werden. Denn bis zur Entscheidung in der Hauptsache könnte das Sondergremium Entscheidungen treffen, die die Statusrechte der Antragsteller im Hinblick auf die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages berühren, so etwa indem es die Zustimmung zu einer Notmaßnahme der EFSF auf Antrag eines Mitgliedstaates der Euro-Zone erteilte. Diese mögliche Rechtsverletzung wäre durch eine Entscheidung des BVerfG in der Hauptsache nicht mehr rückgängig zu machen, da die Bundesrepublik Deutschland nach erfolgter Zustimmung völkerrechtlich bindende Verpflichtungen eingegangen wäre.

Demgegenüber wiegen die Nachteile weniger schwer, die entstünden, wenn das BVerfG die begehrte einstweilige Anordnung erließe, in der Hauptsache aber dem Antrag im Organstreitverfahren der Erfolg zu versagen wäre. Die Nichtausübung der Mitwirkungs- und Unterrichtungsrechte durch das Sondergremium bis zur Hauptsacheentscheidung führte nicht dazu, dass die erforderliche Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in diesem Zeitraum nicht gewährleistet wäre. Vielmehr kann die Bundesregierung jederzeit notwendige Zustimmungen gegenüber dem Deutschen Bundestag beantragen, über die dann das Plenum entscheidet.

Linkhinweis:

  • Der Volltext wird demnächst auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
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BVerfG PM Nr. 68 vom 28.10.2011
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