Fiktive Schadensberechnung: Erforderliche Reparaturkosten umfassen auch Sozialabgaben und Lohnnebenkosten
BGH 19.2.2013, VI ZR 69/12Der Kläger verlangt von dem beklagten Haftpflichtversicherer restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall im August 2011, bei dem sein Kraftfahrzeug beschädigt wurde. Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach außer Streit.
Der Kläger machte die Reparaturkosten für das unfallbeschädigte Fahrzeug fiktiv auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens geltend, welches Nettoreparaturkosten i.H.v. 600 € ausweist, von denen 155 € auf den Arbeitslohn entfallen. Die Beklagte erstattete den fiktiven Arbeitslohn vorgerichtlich unter Abzug von 10 Prozent wegen nicht angefallener Sozialabgaben und Lohnnebenkosten.
AG und LG gaben der Klage statt und erkannten dem Kläger den geltend gemachten Differenzbetrag von 15 € nebst Zinsen hieraus zu. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Sozialabgaben und Lohnnebenkosten sind Bestandteile des im Rahmen einer "fiktiven" Schadensabrechnung i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nach einem Verkehrsunfall zu erstattenden Schadens.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats darf der Geschädigte seiner (fiktiven) Schadensberechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen. Die Berücksichtigung fiktiver Sozialabgaben und Lohnnebenkosten bei der Berechnung der erstattungsfähigen Reparaturkosten widerspricht dabei weder dem Wirtschaftlichkeitsgebot noch dem Bereicherungsverbot. Denn das Vermögen des durch einen Verkehrsunfall Geschädigten ist um denjenigen Betrag gemindert, der aufgewendet werden muss, um die beschädigte Sache fachgerecht zu reparieren.
Zu den erforderlichen Wiederherstellungskosten gehören grundsätzlich auch allgemeine Kostenfaktoren wie Umsatzsteuer, Sozialabgaben und Lohnnebenkosten. Deshalb hat der Senat vor dem Inkrafttreten des 2. Schadensrechtsänderungsgesetzes bei einer "fiktiven" Schadensabrechnung die Mehrwertsteuer beim nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten als echten Schadensposten anerkannt. Soweit der Gesetzgeber nunmehr durch das 2. Schadensrechtsänderungsgesetz in § 249 Abs. 2 S. 2 BGB die Erstattung nicht angefallener Umsatzsteuer bei fiktiver Schadensabrechnung ausdrücklich vom Schadensersatzanspruch ausgenommen hat, hat er hiermit lediglich einen - systemwidrigen - Ausnahmetatbestand geschaffen, der nicht analogiefähig ist.
Eine Erstattung des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrags gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ohne Abzug von Sozialabgaben und Lohnnebenkosten führt auch nicht zwangsläufig zu einer Überkompensation des Geschädigten. Sie ist vielmehr lediglich die rechtliche Folge der gesetzlichen Regelung des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, wonach der Geschädigte bei der Beschädigung einer Sache statt der Naturalrestitution i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB Geldersatz verlangen kann. Der Geschädigte, der auf diese Weise die Beseitigung der erlittenen Vermögenseinbuße verlangt, ist in der Verwendung des Schadensersatzbetrags frei, d.h. er muss den ihm zustehenden Geldbetrag nicht oder nicht vollständig für eine ordnungsgemäße Reparatur in einer Fachwerkstatt einsetzen (sog. Dispositionsbefugnis). Die Revisionserwiderung weist mit Recht darauf hin, dass die Sichtweise der Revision zur Beseitigung dieser Dispositionsbefugnis führen würde.
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