30.10.2014

Gelegenheit zur Äußerung gem. § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO bei einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO

Stützt ein Berufungsgericht in einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO seine Rechtsauffassung auf einen Gesichtspunkt, den der Berufungskläger erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, muss diesem Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO. Die hierdurch veranlassten neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel dürfen nicht zurückgewiesen werden.

BGH 1.10.2014, VII ZR 28/13
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine GbR, in der sich drei Architekten zur gemeinsamen Berufsausübung zusammengeschlossen haben. Der Beklagte ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein mit dem Ziel des deutsch-russischen Kulturaustauschs, der u.a. in B. zweisprachige Kindertagesstätten betreibt. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Architektenhonorar. Die Parteien streiten insbes. darüber, ob zwischen ihnen ein Architektenvertrag zustande gekommen ist.

Der Beklagte plante die Eröffnung einer weiteren Kindertagesstätte und erwog die Einrichtung einer zweisprachigen Grundschule. Er suchte nach geeigneten Gewerberäumen. Im Rahmen dieser Suche wurde der Beklagte auf Gewerberäume in B. aufmerksam. Die Klägerin übersandte K, der Geschäftsführerin des Beklagten, unter dem 8.7.2010 einen Architektenvertrag betreffend die Umnutzung des genannten Gebäudes zu einer Grundschule, einem Kindergarten, einer Kunstschule, einer Verwaltung, eines Internatsbereichs und einer Mensa. In diesem Vertrag sind der Beklagte als Bauherr und die Klägerin als Architekt genannt.

K unterzeichnete diesen Vertrag unter dem 14.7.2010. Die Klägerin erbrachte daraufhin Planungsleistungen, für die sie als Abschlagszahlung rd. 38.000 € verlangt. Der Beklagte meint, zur Zahlung u.a. deshalb nicht verpflichtet zu sein, weil die Geschäftsführerin keine Vertretungsmacht zum Abschluss des Architektenvertrags gehabt habe und die Architektenleistung mangelhaft und für ihn wertlos sei. In dem Vereinsregister heißt es zur Vertretung des Beklagten: "Der Verein wird gerichtlich und außergerichtlich vertreten durch den Vorsitzenden oder seinen Stellvertreter zusammen mit einem anderen Vorstandsmitglied." In der Satzung des Beklagten heißt es in § 7 u.a.:

"Der Vorstand besteht aus
1. dem/der Vorsitzenden.
2. drei stellvertretenden Vorsitzenden
3. dem/der Schriftführer/in
4. dem/der Schatzmeister/in
2. Der Vorstand vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich i.S.d. § 26 BGB. Der Vorsitzende oder sein Stellvertreter vertreten den Verein gemeinsam mit einem weiteren Vorstandsmitglied.
3. Über Grundstücks- und Kreditgeschäfte sowie Verpflichtungen über DM 10.000 entscheidet der Vorstand gemeinsam."

Das LG wies die Klage ab. Das KG wies die Berufung der Klägerin mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Der BGH gab der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision statt, hob den Beschluss des KG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des KG zurück.

Die Gründe:
Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG. Es war deshalb aufzuheben und die Sache war an einen anderen Senat des KG zurückzuverweisen, §§ 544 Abs. 7 ZPO, 563 Abs. 1 S. 2 ZPO.

Bleiben Angriffsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter sie in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 530 ZPO zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei verletzt. Stützt ein Berufungsgericht in einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO seine Rechtsauffassung auf einen Gesichtspunkt, den der Berufungskläger erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, muss diesem Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO. Die hier durch veranlassten neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel dürfen nicht zurückgewiesen werden.

Vorliegend hat das KG zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin mit ihrem mit Zeugenbeweisantritt versehenen Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 5.11.2012, neben dem Vorstandsvorsitzenden habe mindestens noch ein weiteres Vorstandsmitglied zusammen mit diesem die Geschäftsführerin K bevollmächtigt, die Klägerin mit den Architektenleistungen zu beauftragen und den Architektenvertrag zu unterschreiben, gem. §§ 530, 520, 296 ZPO ausgeschlossen bleibt. Dieser vom KG präkludierte Vortrag der Klägerin war durch den Hinweis des KG im Beschluss vom 20.9.2012 veranlasst und erfolgte fristgerecht innerhalb der der Klägerin gewährten Stellungnahmefrist. Dieser Hinweis war nach § 139 Abs. 2 ZPO geboten.

Den Gesichtspunkt, dass eine Bevollmächtigung der Geschäftsführerin K zum Abschluss des Architektenvertrags durch den Vorstandsvorsitzenden allein nach der Satzung nicht genügt, sondern eine Bevollmächtigung durch ein weiteres Vorstandsmitglied erforderlich ist, hatte die Klägerin erkennbar übersehen; das LG hat sich zu diesem Gesichtspunkt nicht geäußert. Die Klägerin hatte erkennbar weder den vom Beklagten mit der Klageerwiderung vorgelegten Vereinsregisterauszug noch die von ihr mit der Berufungsbegründung vorgelegte Satzung zum Anlass genommen, das Erfordernis der Vertretung durch mehrere Personen zu bedenken.

Der angefochtene Beschluss beruht auf dem Verfahrensverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das KG zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung gelangt wäre, wenn es den genannten Vortrag berücksichtigt und den angebotenen Zeugenbeweis erhoben hätte.

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