Grundbesitzwert für nach dem Erbanfall veräußerte, zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörende Grundstücke
Kurzbesprechung
BewG § 166, § 198
Für die wirtschaftlichen Einheiten des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens sind die Grundbesitzwerte unter Anwendung der §§ 158 bis 175 BewG zu ermitteln (§ 157 Abs. 2 BewG). Gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 BewG ist die wirtschaftliche Einheit des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens der Betrieb der Land- und Forstwirtschaft. Zu den Wirtschaftsgütern, die der wirtschaftlichen Einheit "Betrieb der Land- und Forstwirtschaft" zu dienen bestimmt sind, gehört insbesondere der Grund und Boden (§ 158 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BewG). Dieser beinhaltet alle land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen, die nicht ausnahmsweise als Grundvermögen zu erfassen sind. Im Streitfall hatte das FA die Höhe des Grundbesitzwerts für den Betrieb der Land- und Forstwirtschaft den gesetzlichen Vorgaben entsprechend grundsätzlich zutreffend mit dem Liquidationswert in Höhe von 191.952 € festgestellt.
Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der kurze Zeit nach dem Erbanfall veräußerten land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen wesentlich niedriger ist als der nach § 166 BewG ermittelte Liquidationswert, kann der niedrigere gemeine Wert nach § 9 Abs. 2 BewG als Grundbesitzwert für Zwecke der Erbschaftsteuer festgestellt werden.
Für den nach §§ 163 und 164 BewG für einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft anzusetzenden Wert des Wirtschaftsteils sieht das Gesetz im Fortführungsfalle den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts vor. Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert des - unveräußerten - Wirtschaftsteils niedriger ist als der nach § 165 Abs. 1 und 2 BewG ermittelte Wert, ist dieser Wert anzusetzen; § 166 BewG ist zu beachten (§ 165 Abs. 3 BewG). Im Rahmen des § 166 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BewG ist die Möglichkeit des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts für den Grund und Boden aber nicht eröffnet. Gleichwohl orientiert sich der nach § 166 Abs. 2 Nr. 1 BewG festzustellende Wert durch den Ansatz der Bodenrichtwerte im Wege der Typisierung an dem gemeinen Wert.
Im Gegensatz zur Bewertung des Grund und Bodens, der zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehört und bei einer Veräußerung mit dem Liquidationswert anzusetzen ist, ist bei der Bewertung von ebenfalls land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen, die dem Grundvermögen zuzurechnen sind, nach § 198 BewG der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts möglich. Ein niedrigerer gemeiner Wert kann durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück nachgewiesen werden. Ein zeitnah erzielter Kaufpreis ist regelmäßig ein solcher, der innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Besteuerungszeitpunkt zustande gekommen ist. Grundstücksverkäufe, die eine wesentlich längere Zeit als ein Jahr entfernt liegen, bieten im Allgemeinen keine geeignete Grundlage zur unmittelbaren Ableitung des gemeinen Werts. Gewöhnlicher Geschäftsverkehr ist der Handel, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist.
Die Bewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer hat sich vorrangig am gemeinen Wert zu orientieren. Dieser Vorgabe folgend hat der Gesetzgeber durch die Neuregelung der Vorschriften des BewG den gemeinen Wert zum Maßstab einer realitätsgerechten Wertermittlung erhoben. Die für eine praktikable Anwendung der Vorschriften erforderlichen Pauschalierungen und Typisierungen finden jedoch ihre Grenze im verfassungsrechtlich verankerten Übermaßverbot. Das Übermaßverbot ist verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Belastung extrem über das normale Maß hinausgehen, das der Schematisierung zugrunde liegt, oder die Folgen auch unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellungen durch den gebotenen Anlass nicht mehr gerechtfertigt sind.
Um einen Verstoß gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zu verhindern, ist der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts bei verfassungskonformer Auslegung auch dann geboten, wenn er nach dem Wortlaut des BewG nicht vorgesehen ist. Diese zur pauschalierten Bewertung von erbbaurechtsbelasteten Grundstücken ergangene Rechtsprechung gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige ein Grundstück aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nach dem Bewertungsstichtag veräußert hat und der Wert für dieses Grundstück nach § 166 Abs. 2 BewG zu ermitteln ist.
Das Übermaßverbot ist nur verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Bewertung extrem über das normale Maß hinausgehen. Dies erfordert den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts, der den festgestellten Grundstückswert so erheblich unterschreitet, dass sich der festgestellte Grundstückswert als extrem über das normale Maß hinausgehend erweist. Extrem über das normale Maß hinaus geht beispielsweise das Dreifache des gemeinen Werts bzw. das rund 1,4‑fache eines sich aus dem Bodenrichtwert errechneten Verkehrswerts. Eine Bewertungsdifferenz von 10 % ist hingegen als Folge der typisierenden Bewertungsmethode aufgrund der mit der Wertschätzung verbundenen Ungenauigkeit hinzunehmen.
Im Streitfall hatte der Steuerpflichtige einen niedrigeren gemeinen Wert in Höhe von 123.840 € nachgewiesen. Bei der Überprüfung, ob das Übermaßverbot verletzt ist, sind der nach den Vorschriften des BewG anzusetzende Wert und der nachgewiesene gemeine Wert gegenüberzustellen. Der vom FA nach § 166 Abs. 2 Nr. 1 BewG ermittelte und angesetzte Wert in Höhe von 191.952 € beträgt im Streitfall das 1,55‑fache des vom Steuerpflichtigen durch den zeitnahen Verkauf nachgewiesenen tatsächlich erzielten Veräußerungserlöses. Der sich bei typisierender Bewertung mit dem Bodenrichtwert ergebende Wert übersteigt damit den nachgewiesenen gemeinen Wert so erheblich, dass sich der festgestellte Grundstückswert als extrem über das normale Maß hinausgehend erweist.
BFH, Urteil vom 30.1.2019, II R 9/16, veröffentlicht am 11.4.2019.