Grunderwerbsteuerbefreiung für Erwerb eines Grundstücks von Geschwistern
Kurzbesprechung
AO § 44 Abs. 1
BGB § 328 Abs. 1, § 330, § 525 Abs. 1
GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Nr. 2, § 3 Nr. 6
Nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG sind von der Besteuerung ausgenommen der Grundstückserwerb von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden i.S. des ErbStG. Schenkungen unter einer Auflage unterliegen der Besteuerung jedoch hinsichtlich des Werts solcher Auflagen, die bei der Schenkungsteuer abziehbar sind (§ 3 Nr. 2 Satz 2 GrEStG). Nach § 3 Nr. 6 Satz 1 GrEStG ist von der Besteuerung weiter ausgenommen der Erwerb eines Grundstücks durch Personen, die mit dem Veräußerer in gerader Linie verwandt sind oder deren Verwandtschaft durch die Annahme als Kind bürgerlich-rechtlich erloschen ist. Die Steuerbefreiungen nach § 3 Nr. 2 und Nr. 6 GrEStG knüpfen an den Erwerb an. Daher ist, falls Schenker oder Veräußerer und Übertragender nicht personenidentisch sind, für die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des jeweiligen Befreiungstatbestands erfüllt sind, auf das Verhältnis zwischen den am grunderwerbsteuerrechtlichen Erwerb Beteiligten - dem Übertragenden und dem Erwerber - abzustellen.
Die unentgeltliche Übertragung eines Miteigentumsanteils aufgrund einer Schenkung unter Auflage an einem Grundstück unter Geschwistern, über die im Streitfall zu entscheiden war, ist für sich allein betrachtet weder nach § 3 Nr. 2 GrEStG noch nach § 3 Nr. 6 Satz 1 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit.
Eine Steuerbefreiung kann aber aufgrund einer Zusammenschau von grunderwerbsteuerrechtlichen Befreiungsvorschriften nach ihrem Sinn und Zweck über ihren Gesetzeswortlaut hinaus dann gewährt werden, wenn sich der tatsächlich verwirklichte Grundstückserwerb als abgekürzter Übertragungsweg darstellt und die unterbliebenen Zwischenerwerbe, wenn sie durchgeführt worden wären, ebenfalls steuerfrei wären. Dabei kann sich die Steuerfreiheit der unterbliebenen Zwischenerwerbe auch aus der mehrfachen Anwendung derselben Befreiungsvorschrift ergeben.
Der Zusammenschau als Auslegungsmethode sind jedoch Schranken gesetzt. Diese darf immer nur an einen real verwirklichten, nicht aber an einen fiktiven Sachverhalt anknüpfen und darf nicht zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs einer Befreiungsvorschrift über ihren Zweck hinaus führen. Außerdem darf kein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO vorliegen.
Die von einem Elternteil durch Auflage in einem notariell beurkundeten Schenkungsvertrag angeordnete unentgeltliche Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück von dem mit der Auflage beschwerten Kind auf das erwerbende Kind stellt sich als abgekürzter Weg einer unentgeltlichen Übertragung des Miteigentumsanteils von dem Elternteil auf das erwerbende Kind dar. Der erste unterbliebene Zwischenerwerb - die Übertragung des Grundstücks von dem mit der Auflage beschwerten Kind auf den Elternteil - wäre nach § 3 Nr. 6 Satz 1 GrEStG steuerfrei, da das Kind und der Elternteil in gerader Linie verwandt sind (§ 1589 Satz 1 BGB). Der zweite unterbliebene Zwischenerwerb - die unentgeltliche Übertragung des Grundstücks von dem Elternteil auf das erwerbende Kind - wäre wegen des Verwandtschaftsverhältnisses in gerader Linie ebenfalls nach § 3 Nr. 6 Satz 1 GrEStG von der Steuer befreit.
Real verwirklichter Sachverhalt ist im Streitfall die von einem Elternteil in einer Auflage angeordnete unentgeltliche Übertragung des Miteigentumsanteils an einem Grundstück von dem mit der Auflage beschwerten Kind auf das erwerbende Kind. Gleichzeitig trägt die Zusammenschau dem Umstand Rechnung, dass § 3 Nr. 6 GrEStG den im abgekürzten Übertragungsweg verwirklichten Vorgang - die von dem Elternteil veranlasste Schenkung des mit grundbuchrechtlichen Belastungen versehenen Miteigentumsanteils an dem Grundstück an das erwerbende Kind - vollständig von der Grunderwerbsteuer befreit. Dadurch wird der Sinn und Zweck des § 3 Nr. 6 GrEStG - die grunderwerbsteuerrechtliche Befreiung von Erwerben zwischen Eltern und Kindern - erfüllt.
Wird der Miteigentumsanteil an dem Grundstück unentgeltlich unter Übernahme der im Grundbuch eingetragenen Belastungen übertragen, erfüllt die Zuwendung die Merkmale einer Schenkung unter einer Nutzungs‑ oder Duldungsauflage. Schenkungsteuerrechtlich liegt eine freigebige Zuwendung des Elternteils an das erwerbende Kind vor. Grunderwerbsteuerrechtlich hat der Gesetzgeber in § 3 Nr. 6 GrEStG Erwerbe zwischen Eltern und Kindern vollständig von der Steuer befreit, unabhängig davon, ob es sich um entgeltliche oder unentgeltliche Erwerbe handelt. Insoweit geht bei unentgeltlichen Übertragungen unter einer Nutzungs‑ oder Duldungsauflage zwischen Eltern und Kindern als Verwandte in gerader Linie die grunderwerbsteuerrechtliche Befreiung nach § 3 Nr. 6 GrEStG weiter als diejenige nach § 3 Nr. 2 GrEStG. Nach letzterer wären solche unentgeltlichen Übertragungen zwischen Eltern und Kindern nur teilweise von der Grunderwerbsteuer befreit und würden mit dem Wert der bei der Schenkungsteuer abziehbaren Auflagen der Grunderwerbsteuer unterliegen.
Liegt - wie im Streitfall - ein beachtlicher Grund für den gewählten Übertragungsweg vor, steht der Zusammenschau auch § 42 AO nicht entgegen. Das FG hatte daher zu Recht entschieden, dass die unentgeltliche Übertragung des Miteigentumsanteils von der Schwester auf den Steuerpflichtigen vollständig von der Grunderwerbsteuer befreit war.
BFH, Urteil vom 7.11.2018, II R 38/15, veröffentlicht am 13.3.2019.