04.06.2018

Grundsatzentscheidung zur Anwendbarkeit des § 366 Abs. 2 BGB auf Salden aus einem "Mieterkonto"

Klagt der Vermieter den Saldo eines laufenden "Mieterkontos" ein, der verschiedene Ansprüche rückständiger Forderungen, Zahlungen des Mieters und Gutschriften aus Betriebskostenabrechnungen beinhaltet, ist der Bestimmtheit der Klage genügt, wenn die Beträge im Einzelnen nach Grund und Höhe bezeichnet sind. Entgegen der bisher h.A. bei den Instanzgerichten und im Schrifttum kann die Klage auch nicht wegen Unbestimmtheit abgewiesen werden, weil der Vermieter sich nicht dazu erklärt, dass die Klage wegen zwischenzeitiger Betriebskostenabrechnung oder Abrechnungsreife auf Nachzahlung geändert werde.

BGH 21.3.2018, VIII ZR 68/17
Der Sachverhalt:
Die Beklagte hatte von August 2013 bis April 2015 eine Wohnung der Klägerin in Frankfurt a.M. angemietet. Die monatliche Bruttomiete betrug 749 €. Darin waren Nebenkostenvorauszahlungen i.H.v. 146 € monatlich enthalten. Im November 2014 erteilte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2013. Dieser Abrechnung legte sie die Sollvorauszahlungen und nicht die tatsächlich geleisteten Zahlungen zugrunde. In gleicher Weise verfuhr sie im November 2015, mit dem sie über die Betriebskosten für das Jahr 2014 abrechnete.

Die Klägerin hat mit der vorliegenden Klage ausstehende Zahlungen aus dem Zeitraum von Oktober 2013 bis April 2015 i.H.v. 13.544 € geltend gemacht. Die Beklagte hatte nur einmalig 400 € gezahlt, die auf die Februarmiete 2015 verrechnet wurden. Zusätzlich kam es zu zwei Gutschriften aus Betriebskostenabrechnungen 2013 und 2014 und einer "Gutschrift Miete April 2015". AG und LG hielten die Klage für unzulässig, da ungleichartige Forderungen auf Nettomiete, Vorauszahlungen auf Betriebskosten, Mahngebühren eingestellt seien, ohne darzulegen, in welcher Höhe die Forderungsarten dem geltend gemachten Saldo im Einzelnen zugrunde lagen. Nach Abrechnungsreife bestünden zudem keine Ansprüche auf Vorauszahlungen mehr. Die Klägerin habe sich hierzu nicht erklärt.

Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Urteil des LG insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden war und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:
Die Revision hat zu Recht geltend gemacht, dass die Klage nicht mangels Bestimmtheit des Klagebegehrens (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) hätte als unzulässig abgewiesen werden dürfen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts handelt es sich nämlich bei der erhobenen Zahlungsklage nicht um eine "unzulässige Saldoklage".

Ein Klageantrag ist grundsätzlich hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) absteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und schließlich eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt. Zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kommt es nicht darauf an, ob der maßgebliche Sachverhalt bereits vollständig beschrieben oder ob der Klageanspruch schlüssig und substantiiert dargelegt wurde. Vielmehr ist es im Allgemeinen ausreichend, wenn der Anspruch als solcher identifizierbar ist. Macht ein Vermieter somit - wie hier - Mietrückstände (und ggfs. sonstige aus dem Mietverhältnis resultierende Forderungen) geltend und bezieht er sich dabei auf den Inhalt eines Mietkontos, in das Bruttomieten und damit auch Ansprüche auf Nebenkostenvorauszahlungen eingestellt sind, bringt er beim Fehlen weiterer Erklärungen zum Ausdruck, dass er diese Ansprüche (und nicht Nachforderungen aus erteilten Nebenkostenabrechnungen) zum Gegenstand seiner Klage macht. Das Gericht darf die Bestimmtheit des Klagebegehrens nicht deswegen in Frage stellen, weil der Vermieter nach Eintritt der Abrechnungsreife keine Vorauszahlungen mehr verlangen darf. Dies ist nämlich ausschließlich eine Frage der Begründetheit der Klage.

Berücksichtigt der Vermieter in dem der Klage zugrunde gelegten Mietkonto zugunsten des Mieters Zahlungen und Gutschriften, ohne diese konkret einer bestimmten Forderung oder einem bestimmten Forderungsteil (Nettomiete oder Nebenkostenvorauszahlung) zuzuordnen, stellt dies die Bestimmtheit des Klageantrags nicht ohne Weiteres in Frage. Vielmehr kommt hier im Rahmen der gebotenen Auslegung des Klagebegehrens auch ohne ausdrückliche Verrechnungs- oder Aufrechnungserklärung ein Rückgriff auf die gesetzliche Anrechnungsreihenfolge des § 366 Abs. 2 BGB in Betracht.

Der Vermieter ist allerdings nicht gehindert, in den Tatsacheninstanzen eine hiervon abweichende Erklärung über die Zuordnung erbrachter Zahlungen und erteilter Gutschriften abzugeben. Macht er hiervon erst nach Klageerhebung Gebrauch, handelt es sich hierbei entweder um eine Klageänderung nach § 263 ZPO (die im Berufungsverfahren ergänzend an § 533 ZPO zu messen ist) oder, wenn sich an dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt nichts ändert, um eine nach § 264 Nr. 2 ZPO jederzeit zulässige Klageänderung.

Erfolgt eine solche Erklärung erstmals in der Berufungsinstanz, ist sie unabhängig von den Vorgaben des § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen, weil sie kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel i.S.d. Vorschrift darstellt, sondern zum Angriff selbst gehört. Bei unzureichenden Zahlungen auf Nettomieten aus verschiedenen Zeiträumen ist § 366 Abs. 2 BGB direkt und nicht nur analog heranzuziehen, weil § 366 BGB das Schuldverhältnis im engeren Sinne, also die einzelne Forderung, meint und daher auch bei einer Mehrheit von Forderungen aus demselben Schuldverhältnis (im weiteren Sinne) direkt anwendbar ist. Handelt es sich nicht um Zahlungen des Mieters, sondern um Gutschriften des Vermieters, kommt eine entsprechende Anwendung von § 366 Abs. 2 BGB in Betracht.

Eine analoge Anwendung des § 366 Abs. 2 BGB ist auch insoweit geboten, als erfolgte Zahlungen des Schuldners oder erteilte Gutschriften nicht ausreichen, um die jeweilige monatliche Bruttomiete zu tilgen, weil sich es hierbei zwar um eine einheitliche Forderung aus verschiedenen Bestandteilen handelt, die Forderung auf Nebenkostenvorauszahlung aber weitgehende rechtliche Eigenständigkeiten aufweist, die es rechtfertigen, bei unzureichenden Zahlungen des Mieters die Vorschrift des § 366 BGB analog heranzuziehen.

Sind in das dem Klagebegehren zugrundliegende Mietkonto Bruttomieten aus mehreren Zeiträumen eingestellt, sind die oben dargestellten Verrechnungsgrundsätze wie folgt anzuwenden und zu kombinieren:

  • Die Vorschrift des § 366 Abs. 2 BGB ist (analog) zur Festlegung heranzuziehen, auf welchen Bestandteil der jeweiligen Bruttomiete (Nettomiete oder geschuldete Nebenkostenvorauszahlung) die Zahlungen oder Gutschriften zu verrechnen sind. Dabei ist das Kriterium der "geringeren Sicherheit" maßgebend. Dies führt dazu, dass für die Tilgung der jeweiligen Bruttomiete unzureichende Zahlungen oder Gutschriften zunächst auf die die darin enthaltene Forderung auf Erbringung von Nebenkostenvorauszahlungen anzurechnen sind, weil diese nach Eintritt der Abrechnungsreife oder erfolgter Abrechnung grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden kann und daher weniger sicher ist als die Nettomietforderung.
  • Werden Bruttomietrückstände aus mehreren Jahren oder mehreren Monaten geltend gemacht, sind die Kriterien des § 366 Abs. 2 BGB ein weiteres Mal heranzuziehen. Da-bei ist stets eine Anrechnung auf die ältesten Rückstände vorzunehmen. Dies ergibt sich bei Mieten, die aus verschiedenen Jahreszeiträumen stammen, daraus, dass die älteren Rückstände zuerst verjähren (vgl. § 199 Abs. 1 BGB) und daher dem Kläger die geringeren Sicherheiten bieten. Bezüglich der Mietrückstände, die im selben Jahr angefallen sind und bei denen nach § 199 Abs. 1 BGB regelmäßig zum gleichen Zeitpunkt die Verjährung eintritt, folgt dies aus der Heranziehung des Kriteriums "ältere Schuld".
  • Die Frage, wie diese beiden Verrechnungsweisen für die im Rahmen der Zulässigkeit der Klage erforderliche Bestimmung, welche Beträge der Kläger bei Bruttomietrückständen aus mehreren Monaten oder Jahren geltend macht, miteinander zu kombinieren sind, hängt davon ab, ob der Kläger die Gutschriften oder Zahlungen einzelnen Zeiträumen zugeordnet hat (etwa: Miete Januar 2017) oder nicht.
  • Erfolgt eine Zuordnung zu einem bestimmten Zeitraum, hat der Kläger die Zahlung bzw. Gutschrift auf die für diesen Zeitraum geschuldete Nebenkostenvorauszahlung und anschließend auf die für diesen Monat geschuldete Nettokaltmiete verrechnet. Übersteigt eine für eine bestimmten Zeitraum erbrachte Zahlung oder Gutschrift die für diesen Zeitraum geschuldete Bruttomiete, ist der überschießende Betrag - bis er aufgebraucht ist - gem. § 366 Abs. 2 BGB analog - in absteigendem Alter - auf die ältesten Nebenkostenvorauszahlungsforderungen und anschließend - wiederum beginnend mit der ältesten Schuld - auf die Nettomieten anzurechnen.
  • Nimmt der Kläger bzgl. erbrachter Zahlungen oder Gutschriften keine Zuordnung zu einem bestimmten Zeitraum vor, sondern zieht diese lediglich vom Gesamtsaldo ab, sind diese in Anwendung der Kriterien des § 366 Abs. 2 BGB zunächst in absteigendem Alter auf die Nebenkostenvorauszahlungsforderungen (etwa Januar 2017; Februar 2017) und anschließend - wiederum beginnend mit der ältesten Forderung - auf die Nettomietrückstände (etwa Januar 2017; Februar 2017) zu verrechnen.

Linkhinweise:

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