27.06.2016

Haftungsverteilung von 30 zu 70 Prozent zu Lasten eines deutlich zu schnell fahrenden vorfahrtberechtigten Motorradfahrers

Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (hier: 121 km/h statt zugelassener 50 km/h) durch einen vorfahrtsberechtigten Motorradfahrer gegenüber einem aus einer rechtsseitig gelegenen, untergeordneten Autobahnabfahrt nach links hin abbiegenden Pkw-Fahrer rechtfertigt eine Haftungsverteilung von 30 zu 70 Prozent zu Lasten des Motorradfahrers.

OLG Hamm 23.2.2016, 9 U 43/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Krankenkasse eines Motorradfahrers. Sie nimmt einen Pkw-Fahrer und dessen Haftpflichtversicherung auf Erstattung von Aufwendungen in Anspruch, die ihr aufgrund eines Unfalls des Motorradfahrers entstanden sind.

Im September 2011 befuhr der Motorradfahrer eine Straße in Werl. Im Bereich einer von rechts einmündenden Autobahnabfahrt ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit dort auf 50 km/h begrenzt. Ungeachtet dessen war der Motorradfahrer mit seinem Motorrad Yamaha mindestens 121 km/h schnell. Der beklagte Pkw-Fahrer bog mit seinem Wagen langsam nach links ab, als das Motorrad noch ca. 250 m entfernt war. Aufgrund des Abbiegemanövers leitete der Motorradfahrer eine Bremsung ein und wich nach links aus, kollidierte jedoch mit dem abbiegenden Pkw.

Bei dem Unfall zog sich der Motoradfahrer schwere Verletzungen zu. Die Parteien streiten im Wege der Feststellungsklage darüber, ob der beklagte Pkw-Fahrer für den Unfall mitverantwortlich ist und die Beklagten der Klägerin deswegen 1/3 der unfallbedingten Aufwendungen zu ersetzen haben.

Das LG wies die Klage wegen eines überwiegenden Verschuldens des Motorradfahrers ab. Auf die Berufung der Klägerin änderte das OLG das Urteil ab und stellte fest, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 30 Prozent aller künftig entstehenden und bereits entstandenen Aufwendungen zu ersetzen. Das Urteil ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Für die Frage der Haftung der Beklagten kommt es maßgeblich auf die Abwägung der Verursachungsbeiträge des Versicherten der Klägerin einerseits und des beklagten Pkw-Fahrers andererseits an. Diese Abwägung führt vorliegend zu einer Haftungsquote der Beklagten von 30 Prozent.

Auf Seiten des Motorradfahrers ist zunächst die unfallursächliche, massive Tempoüberschreitung zu berücksichtigen, von der die Klägerin selbst ausgeht. Allerdings liegt auch auf Seiten des Pkw-Fahrers ein schuldhaftes Verhalten vor. Beim Beginn seines Abbiegevorgangs war das mit eingeschaltetem Fahrlicht herannahende Motorrad für den Pkw-Fahrer zu sehen. Da er dieses, seinen eigenen Angaben zufolge, erst nach Abbiegebeginn erstmals wahrgenommen hat, hat er den Verkehr auf der bevorrechtigten Straße nicht ausreichend beachtet.

Bei ausreichender Ausschau hätte er die erhebliche Geschwindigkeit des Motorrads erkennen können und dann zuwarten müssen. Keinesfalls hätte er in der tatsächlich erfolgten langsamen Weise mit nur geringer Beschleunigung abbiegen dürfen, sondern - wenn überhaupt - zügig anfahren müssen. Beim Zuwarten und auch beim zügigen Abbiegen wäre der Zusammenstoß zu vermeiden gewesen. Dies belegt die Aussage des Sachverständigen. Die damit ebenfalls unfallursächliche Vorfahrtsverletzung des Pkw-Fahrers rechtfertigt eine Haftungsquote von 70 zu 30 Prozent zu Lasten der Beklagten.

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OLG Hamm PM vom 24.6.2016
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