10.11.2015

Hirnhautentzündung zu spät erkannt - Krankenhaus haftet für Fehleinschätzung eines Pflegers

Ein grober Behandlungsfehler liegt auch dann vor, wenn ein Krankenpfleger zwar zu einem Kind gerufen wird, weil sich eine Infusionsnadel gelöst hat, er aber wegen aufgetretener Hautverfärbungen nicht den diensthabenden Arzt darüber informiert. Im vorliegenden Fall ist deswegen ein ostfriesisches Krankenhaus dazu verurteilt worden, einem Kind wegen einer zu spät erkannten Hirnhautentzündung Schadensersatz zu leisten.

OLG Oldenburg 28.10.2015, 5 U 156/13
Der Sachverhalt:
Der seinerzeit fünf Jahre alte Kläger war im Mai 2011 an einem Nachmittag mit Schüttelfrost und hohem Fieber in ein von der Beklagten betriebenen Krankenhaus eingeliefert und dort stationär aufgenommen worden. Die Ärzte leiteten eine Infusionstherapie ein. Der Zustand des Kindes besserte sich jedoch nicht. Im Laufe des Abends und der Nacht erbrach es mehrfach. Morgens gegen vier Uhr löste sich die Infusionsnadel. Der von der Mutter des Kindes herbeigerufene Pfleger sah jedoch keinen Handlungsbedarf.

Drei Stunden später informierte eine Krankenschwester den diensthabenden Arzt darüber, dass sich am Körper des Kindes ungewöhnliche Hautverfärbungen zeigten. Die Ärzte vermuteten das Vorliegen einer Hirnhautentzündung und begannen sofort mit einer Notfallversorgung. Eine Laboruntersuchung bestätigte den Verdacht. Der Junge wurde daraufhin umgehend in ein anderes Klinikum verlegt. Zwei Wochen später wurde der Fünfjährige in ein Hamburger Kinderkrankenhaus verlegt. Dort amputierte man ihm beide Unterschenkel. Außerdem erfolgten zahlreiche Haut- und Muskeltransplantationen. Der Junge muss bis heute einen Ganzkörperkompressionsanzug sowie eine Kopf- und Gesichtsmaske tragen, um eine wulstige Narbenbildung zu vermeiden.

Der Kläger, vertreten durch seine Eltern, nahm die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 350.000,-€ und Schadensersatz in Anspruch. Er machte geltend, dass die Hirnhautentzündung grob fehlerhaft zu spät erkannt worden sei. Es hätte früher ein Arzt hinzugerufen und eine Notfallbehandlung eingeleitet werden müssen. Zum Beweis für das Vorliegen der Hautverfärbungen in der Nacht legten die Eltern zwei Lichtbilder vom Handy der Mutter vor, auf denen diese deutlich zu erkennen sind. Die Beklagte wies den Behandlungsfehlervorwurf von sich und bestritt, dass die Lichtbilder den Zustand des Jungen in der Nacht zeigten.

Das LG gab der Klage dem Grunde nach statt. Es zeigte sich nach durchgeführter Beweisaufnahme von einem groben Behandlungsfehler des Pflegers überzeugt. Dieser hätte in der Nacht bereits deswegen einen Arzt benachrichtigen müssen, weil sich die Infusionsnadel gelöst hatte und die Therapie dadurch unterbrochen worden war. Der jetzige Gesundheitszustand des Kindes sei auf die verzögerte Notfallversorgung zurückzuführen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb vor dem OLG erfolglos. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Die Gründe:
Nach technischer Auswertung des Handys der Mutter durch einen Sachverständigen war klar, dass die von den Eltern vorgelegten Lichtbilder in der Nacht aufgenommen worden waren. Die Hautverfärbungen hatten somit bereits vorgelegen, als der diensthabende Pfleger gegen vier Uhr im Zimmer des Kindes erschienen war. Der Pfleger hatte den Zustand des Klägers erkannt und dennoch keinen Arzt hinzugezogen. Dies stellte eindeutig einen groben Behandlungsfehler dar. Es hätte vielmehr umgehend mit einer Notfalltherapie begonnen werden müssen. Dadurch wäre auf jeden Fall ein besseres Ergebnis erzielt worden.

Über die Höhe des Schmerzensgeldes und der Schadensersatzansprüche muss nunmehr das LG entscheiden.

OLG Oldenburg PM vom 9.11.2015