Keine Ausnahme von der Motorradhelmpflicht für einen Turban tragenden Sikh
VG Freiburg 29.10.2015, 6 K 2929/14Der Kläger ist deutscher Staatsbürger und ist seit 2005 Glaubensanhänger der Sikh-Religion. Er hatte im Jahr 2013 einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahme von der Motorradhelmpflicht mit der Begründung gestellt, seine Religion gebiete ihm, stets einen Turban zu tragen. Er habe bei seiner Taufe einen Eid geleistet, sich nach dem Vorbild des historischen Gurus aus Respekt vor dem Schöpfer und seiner Schöpfung "bis zum Lebensende die Haare nicht zu schneiden, sie zu bedecken und mit einem Turban zu schmücken", um so auch äußerlich eins zu sein mit dem Guru, dessen Geschenk an die Gläubigen der Turban sei. Nur zum Schlafen dürfe er den Turban abnehmen.
Die Stadt Konstanz als Straßenverkehrsbehörde lehnte den Antrag ab. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Gründe:
Die Ablehnung des Antrags verletzte nicht das Grundrecht des Klägers auf Religionsfreiheit.
Was im Einzelfall als Ausübung einer Religion anzusehen ist, hängt zwar im Wesentlichen von dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft und des einzelnen Gläubigen ab. Der Staat darf eine solche Überzeugung auch nicht bewerten oder gar als "richtig" oder "falsch" bezeichnen. Dennoch muss nicht jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden. Vielmehr darf der Staat prüfen und entscheiden, ob hinreichend substanziell und plausibel dargelegt wurde, dass ein Verhalten tatsächlich eine Motivation hat, die als religiös anzusehen ist.
Infolgedessen ist zwar das Tragen eines Turbans als plausibles religiöses Bekenntnissymbol der Sikhs anzusehen. Zweifelhaft ist aber, ob diese Gründe auch das Motorradfahren mit Turban statt Schutzhelm erfordern. Schließlich lässt die religiös im Vordergrund stehende Bewahrung der Haare durch Nichtschneiden und Bedecken selbst nach dem Sikh-Glauben zu, den Turban situationsbedingt, etwa beim Schlafen, durch eine andere Bedeckung zu ersetzen. Fraglich ist zudem, ob noch Respekt für Schöpfer und Schöpfung mitschwingt, wo der schmückende Turban den schützenden Motorradhelm verdrängt. Nicht recht nachvollziehbar erscheint auch, ob noch Würde und äußere sowie innere Einheit mit dem historischen Guru durch einen mit Turban Motorrad fahrenden Sikh gewahrt werden, der mit einem solchen Anblick wohl in der Öffentlichkeit eher auf Unverständnis oder gar Spott stößt.
Aber auch wenn dieses Verhalten noch vom Schutzbereich der Religionsfreiheit umfasst wird, stellt die Schutzhelmpflicht jedenfalls keinen Eingriff in diesen Schutzbereich dar, da sie den Kern des religiösen Gebots nicht verletzt, der zuallererst und im Wesentlichen darin besteht, die Haare nicht zu schneiden und den Kopf deshalb zu bedecken. Denn die Helmpflicht zwingt den Kläger weder zum Schneiden seiner Haare noch zu ihrer Entblößung in der Öffentlichkeit. Eine etwa erforderliche Bedeckung der Haare unter dem Helm kann etwa auch mit einem Tuch oder einer Mütze ("Sturmhaube") erfolgen. Außerdem kann der Kläger weiterhin seinen Turban in privaten Räumen oder an anderen nichtöffentlichen Orten gegen Tuch/Haube und Schutzhelm tauschen. Selbst ein Eingriff in das Grundrecht auf Religionsfreiheit wäre gerechtfertigt. Denn der Eingriff schränkt sein religiöses Leben nicht tiefgreifend ein. Vielmehr betrifft die Helmpflicht beim Motorradfahren zeitlich und auch jahreszeitlich bedingt nur einen kleinen Teil des täglichen Lebens des Klägers. Die Tatsache, dass er schon seit 2005 Sikh ist, aber erst 2013 den Antrag auf Befreiung von der Helmpflicht gestellt hat, sprich letztlich gegen einen besonderen Bedarf.