26.09.2019

Keine Beschränkung der Erbenhaftung nach § 2059 Abs. 1 BGB für Erbschaftsteuerschulden

Eine Beschränkung der Erbenhaftung für Erbschaftsteuerverbindlichkeiten ist nach § 2059 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Bei der Inanspruchnahme des Nachlasses nach § 20 Abs. 3 ErbStG besteht ein (Entschließungs-)Ermessen, so dass grundsätzlich keine Verpflichtung zur vorrangigen Inanspruchnahme besteht.

Kurzbesprechung
BFH v. 4.6.2019 - VII R 16/18

ErbStG § 20 Abs. 3
AO § 219
BGB § 1922, § 2059


Nach § 20 Abs. 3 ErbStG haftet der Nachlass bis zur Auseinandersetzung (§ 2042 BGB) für die Steuer der am Erbfall Beteiligten. Die Vorschrift enthält damit eine Sicherungsmaßnahme zugunsten der Finanzbehörde. Letztlich geht es darum, dass die Erben bis zur vollständigen Erbauseinandersetzung eine Vollstreckung in den Nachlass wegen Ansprüchen aus dem Erbschaftsteuerschuldverhältnis eines Erben dulden müssen.

Allerdings enthält § 20 Abs. 3 ErbStG keine Vorgabe an die Finanzbehörde, primär in den ungeteilten Nachlass vollstrecken zu müssen. Der Vorschrift lässt sich keine Reihenfolge der Vollstreckung und auch keine Verpflichtung des FA entnehmen, umfangreiche Ermittlungen zum Bestand des Nachlasses und zum eigenen Vermögen des Erben anzustellen. Das ergibt sich insbesondere aus dem allgemeinen Verständnis von Steuerschuldner und Haftungsschuldner und dem Grundsatz der Subsidiarität, den § 219 Satz 1 AO zum Ausdruck bringt.

Nach dem auch für die Haftungsschuld gemäß § 20 Abs. 3 ErbStG geltenden § 219 Satz 1 AO darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Für die subsidiäre Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ist ausreichend, dass die Finanzbehörde zu der Annahme gelangt, dass eine Vollstreckung ohne Erfolg sein wird. Eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Erfolglosigkeit von Vollstreckungsversuchen braucht nicht vorzuliegen. Ebenso wenig bedarf es des Nachweises der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung, evtl. durch erfolglose Vollstreckungsversuche.

Eine Inanspruchnahme des Steuerschuldners ist grundsätzlich auch dann ermessensfehlerfrei, wenn neben diesem ein Haftungsschuldner für die Steuerschuld einzustehen hat. Bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners besteht ein (Entschließungs-)Ermessen, eine Verpflichtung zur Inanspruchnahme besteht grundsätzlich nicht. Im Streitfall hatte die Klägerin kein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung darüber, ob nicht statt ihrer der Nachlass als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen ist.

Auch aus der Haftungsbeschränkung nach § 2059 Abs. 1 BGB konnte die Klägerin keine Beschränkung der Vollstreckung zu ihren Gunsten herleiten, weil diese Einrede auf die Erbschaftsteuerschuld nicht anwendbar ist.

Letztlich hatte das FA auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Im entschiedenen Streitfall waren die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen als Vollstreckungsmaßnahmen geeignet, weil die Klägerin nach den Erkenntnissen des FA über Forderungen gegen Drittschuldner (Banken) verfügte und die Maßnahme deshalb nicht aussichtslos war. Die Maßnahmen waren auch erforderlich, um die ausstehenden Erbschaftsteuerschulden --wenn auch nicht in vollem Umfang-- zu tilgen. Ein milderes Mittel war nicht erkennbar.

Insbesondere kann das FA nicht darauf verwiesen werden, zuerst gegen den Nachlass als Haftungsschuldner vollstrecken zu müssen. Schließlich war die Vollstreckung der Klägerin zumutbar. Zwar führt die Pfändung eines Kontoguthabens bei einem Kreditinstitut (§ 309 Abs. 3 Satz 1 AO, § 833a ZPO) faktisch zu einer Kontosperrung. Dieser besonderen Situation hat der Gesetzgeber jedoch durch die Schaffung eines Pfändungsschutzkontos Rechnung getragen, das auf Antrag des Schuldners nach § 850k ZPO eingerichtet werden kann. Im Übrigen erwiesen sich die Vollstreckungsmaßnahmen im Streitfall nicht deshalb als unverhältnismäßig, weil sie nur zu einer verhältnismäßig geringen Begleichung der hohen Steuerschulden geführt haben. Denn bei einer beigetriebenen Summe von insgesamt 133.510,31 € kann nicht von einem Bagatellbetrag ausgegangen werden, der Vollstreckungsmaßnahmen unbillig erscheinen ließe.

BFH, Urteil vom 4.6.2019, VII R 16/18, veröffentlicht am 26.9.2019.
 
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