Keine Entschädigung wegen Abschiebehaft
BGH v. 18.4.2019 - III ZR 67/18
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste zusammen mit seiner Frau und seiner damals 1½ jährigen Tochter mit dem Zug aus Österreich kommend am 2.10.2013 nach Deutschland ein. Bei der Grenzkontrolle in Passau konnte er keine Ausweispapiere vorlegen. Er gab an, bereits in der Slowakei einen Asylantrag gestellt zu haben. Er wolle aber in Deutschland bleiben. Eine Abfrage im EURODAC-System bestätigte den Asylantrag in der Slowakei. Die Bundespolizei verfügte daher die Zurückschiebung des Klägers nach der Dublin-II-Verordnung (EG-Verordnung Nr. 343/2003, ABl. EG Nr. L 50/01). Ferner beantragte sie Haft zur Sicherung der Zurückschiebung. Das AG Passau ordnete am 3.10.2013 die vorläufige Freiheitsentziehung an. Der Kläger wurde daraufhin in die gesonderte Abteilung für Abschiebegefangene der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim gebracht. Die Ehefrau des Klägers sowie seine Tochter wurden in einer Gemeinschaftsunterkunft in Passau untergebracht.
In der Folgezeit wurde über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Wiederaufnahme des Klägers durch die Slowakei betrieben. Am 8.10.2013 beantragte die Bundespolizei Zurückschiebungshaft bis längstens zum 15.11.2013. Mit Beschluss vom 16.10.2013 ordnete das AG München unter Aufhebung der einstweiligen Anordnung des AG Passau Abschiebehaft von 44 Tagen an (beginnend rückwirkend am 3.10.2013, längstens bis zum 15.11.2013). Auf die Beschwerde des Klägers setzte das LG München I am 30.10.2013 die Vollziehung unter Auflagen - Aufenthaltnahme bei Ehefrau und Tochter in der Gemeinschaftsunterkunft in Passau; tägliche Erreichbarkeit dort um 10.00 Uhr und um 20.00 Uhr - aus und hob mit weiterem Beschluss vom 7.11.2013 die Haftentscheidung des AG München auf.
Gleichzeitig stellte das LG fest, dass die Freiheitsentziehung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Eine Entziehungsabsicht sei nicht erkennbar, jedenfalls reichten die gemachten Auflagen aus. Zwischenzeitlich hatte die Slowakei der Rücknahme des Klägers und seiner Familie zugestimmt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verfügte daraufhin die Abschiebung. Nachdem der Kläger erfolglos versucht hatte, dagegen verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen, entzog er sich der Zurückschiebung, in dem er mit seiner Familie die Zeit bis zum Ablauf der Zurückschiebefrist nach der Dublin-II-Verordnung im sog. Kirchenasyl verbrachte. Im Rahmen des deshalb in Deutschland durchgeführten nationalen Asylverfahrens wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Der Kläger hat die Beklagten auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung für die Zeit seiner Abschiebehaft i.H.v. 100 € je Hafttag (insgesamt 2.700 €) in Anspruch genommen. Das LG hat das beklagte Land - unter Abweisung der weitergehenden Klage - zur Zahlung von 810 € (27 Tage à 30 €) verurteilt und die Klage gegen die beklagte Bundesrepublik insgesamt abgewiesen. Die Berufungen des Klägers und des beklagten Landes waren erfolglos. Auf die Revisionen des Klägers und des beklagten Landes hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Gründe:
Zur Revision des Klägers:
Die Rügen der Revision zur Höhe der dem Kläger gegenüber dem Beklagten zu 1 zuerkannten Entschädigung bleiben bereits deshalb ohne Erfolg, weil dem Kläger schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Schadensersatz zusteht (siehe nachfolgend zur Revision des Freistaats Bayern).
Die Vorinstanzen sind zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen die Bundesrepublik Deutschland mangels Passivlegitimation kein Schadensersatzanspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK zusteht. Zwar ist im Verfahren der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK die Bundesrepublik als Vertragspartei Beschwerdegegner; dementsprechend trifft sie eine etwaige vom EuGH nach Art. 41 EMRK zugesprochene Entschädigung. Im Rahmen der innerstaatlichen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach Art. 5 Abs. 5 EMRK ist jedoch die Frage nach der Person des Verpflichteten durch Anwendung des Art. 34 GG zu klären.
Danach ist der Hoheitsträger (Bund, Land oder sonstige Gebietskörperschaft) verantwortlich, dessen Hoheitsgewalt bei der rechtswidrigen Freiheitsentziehung ausgeübt wurde. Der Eingriff in das Freiheitsrecht des Klägers beruhte auf den Haftentscheidungen der AG Passau und München. Über die Zulässigkeit und Fortdauer eines Freiheitsentzugs hat in Deutschland grundsätzlich nur der Richter zu entscheiden (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG). Bei einer auf der Anordnung eines Richters beruhenden Freiheitsentziehung wird mithin die Hoheitsgewalt der Gebietskörperschaft ausgeübt, in deren Dienst dieser steht. Letzteres war hier das beklagte Land und nicht die Bundesrepublik. Hieran ändert der Umstand nichts, dass die Bundespolizei Haftanträge gestellt hatte und es ohne diese nicht zur Haft gekommen wäre.
Der - im Übrigen hier in einer Anstalt des Landes vollzogene - Freiheitsentzug findet seine Grundlage allein in der richterlichen Haftanordnung. Die Vollzugszuständigkeit ist insoweit kein eigenständiger Anknüpfungspunkt für eine Passivlegitimation der Bundesrepublik. Art. 5 Abs. 5 EMRK bezieht sich grundsätzlich auch nur auf die Haft als solche, nicht dagegen den Vollzug bzw. die Haftbedingungen. Dass die zuständige Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, von sich aus eine Beendigung der Haft zu veranlassen, wenn Umstände auftreten, die einer ursprünglich rechtmäßig angeordneten Haft nachträglich ihre Grundlage entziehen, spielt in diesem Zusammenhang schon deshalb keine Rolle, weil ein solcher Fall hier unstreitig nicht vorliegt.
Zur Revision des beklagten Freistaats Bayern:
Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass es bei der Prüfung einer Haftung des beklagten Landes an die Entscheidung des LG München I vom 7.11.2013 gebunden sei. Zwar sind nach der ständigen BGH-Rechtsprechung die Zivilgerichte im Amtshaftungsprozess an rechtskräftige Entscheidungen der Verwaltungsgerichte im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkung gebunden. Die Bindungswirkung erfasst in persönlicher Hinsicht die Beteiligten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - bei Behörden deren Rechtsträger - und ihre Rechtsnachfolger und ist sachlich auf den Streitgegenstand beschränkt. Diese für den Amtshaftungsprozess entwickelten Grundsätze gelten gleichermaßen für einen Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK und insoweit auch für entsprechende Feststellungen der Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung im Abschiebehaftbeschwerdeverfahren.
Im vorliegenden Fall greift die Bindungswirkung der Entscheidung des LG München I allerdings nicht zum Nachteil des beklagten Landes. Dieses gehörte nicht zu den Verfahrensbeteiligten. Vielmehr war die Bundespolizei und damit eine Behörde der beklagten Bundesrepublik neben dem Kläger an dem zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebehaft führenden Beschwerdeverfahren vor dem LG München I beteiligt. Dessen Entscheidung kann deshalb gegenüber dem beklagten Land, das insoweit in diesem Verfahren vom Gericht kein rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) bekommen hat, keine Bindungswirkung in einem späteren Schadensersatzprozess zugesprochen werden.
Mangels Bindungswirkung kommt es damit darauf an, ob die durch die AG Passau und München angeordnete Freiheitsentziehung konventionswidrig i.S.d. Art. 5 Abs. 5 EMRK war. Dies war zu verneinen. Entgegen der Auffassung des beklagten Landes ist eine Freiheitsentziehung allerdings nicht erst dann als rechtswidrig anzusehen, wenn sie nach Amtshaftungsgrundsätzen als unvertretbar zu bewerten wäre. Für die Konventionswidrigkeit spielt die Vertretbarkeit der richterlichen Haftanordnung nämlich keine Rolle. Art. 5 Abs. 5 EMRK knüpft - anders als § 839 BGB - nicht an die persönliche (und lediglich über Art. 34 GG auf den Staat übergeleitete) Verantwortung des Beamten oder Richters an, sondern an den konventionswidrigen Freiheitsentzug, d.h. an den objektiven Konventionsverstoß. Die richterliche Maßnahme ist daher auf ihre sachliche Richtigkeit, d.h. ihre Vereinbarkeit mit der Konvention, nicht lediglich auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen.
Bezüglich der Richtigkeitskontrolle ist allerdings zu beachten, dass wenn die Anordnung einer Freiheitsentziehung auch von einer prognostischen Beurteilung tatsächlicher Umstände abhängt - wie etwa der Frage, ob Fluchtgefahr besteht beziehungsweise ob dieser auch durch ein milderes Mittel als der Haft ausreichend entgegengewirkt werden kann -, es aus der Natur der Sache nicht nur eine einzige richtige Entscheidung gibt und alle anderen Bewertungen rechtswidrig sind. Insbesondere geht es nicht an, dass der Richter im Entschädigungsprozess seine eigene Prognose einfach an die Stelle der des Haftrichters setzt.
Vielmehr kann im Rahmen der Prognosen denen Bewertungsspielräume eigen sind, auch eine andere Würdigung nachvollziehbar, tragfähig und insoweit im Rahmen des Art. 5 EMRK rechtmäßig sein. Ausgehend von diesem Maßstab kann die von den AG Passau und München angeordnete Haft nicht als konventionswidrig i.S.d. Art. 5 Abs. 5 EMRK angesehen werden. Die AG sind - nach jeweiliger Anhörung des Klägers - u.a. davon ausgegangen, dass die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung erforderlich ist und der Haftzweck nicht durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann.
Die den Haftentscheidungen insoweit zugrundeliegende Prognose ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat bei seinen Anhörungen angegeben, mit seiner Familie in Deutschland bleiben und nicht in die Slowakei zurück zu wollen. Gegenüber der Bundespolizei hatte er dies zuvor unter anderem damit begründet, dass die Situation in der Slowakei "schlimm" bzw. "wie ein Gefängnis" sei und man "dort nicht leben kann". Wenn die AG vor diesem Hintergrund davon ausgegangen sind, es bestehe die Gefahr, dass der Kläger sich nicht freiwillig der Zurückschiebung in die Slowakei stellen werde, sodass zur Sicherung Abschiebehaft nötig sei, ist diese seinerzeit angestellte Prognose nicht als rechtswidrig zu bewerten.
Eine Konventionsverletzung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus einem Verstoß gegen das sog. Trennungsgebot im Rahmen des Vollzugs der Abschiebehaft herleiten. Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des EU-Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehörige (ABl. EU Nr. L 348/98) bestimmt zwar, dass die Inhaftierung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu erfolgen hat. Hierauf lässt sich ein Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK für die nicht in einer solchen speziellen Haftanstalt, sondern lediglich in einer gesonderten Abteilung der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim vollzogene Abschiebehaft aber nicht stützen. Art. 5 Abs. 5 EMRK betrifft nur die Freiheitsentziehung als solche, nicht den Haftvollzug bzw. die Modalitäten der Haft.
Linkhinweise:
BGH PM Nr. 50 vom 18.4.2019
Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste zusammen mit seiner Frau und seiner damals 1½ jährigen Tochter mit dem Zug aus Österreich kommend am 2.10.2013 nach Deutschland ein. Bei der Grenzkontrolle in Passau konnte er keine Ausweispapiere vorlegen. Er gab an, bereits in der Slowakei einen Asylantrag gestellt zu haben. Er wolle aber in Deutschland bleiben. Eine Abfrage im EURODAC-System bestätigte den Asylantrag in der Slowakei. Die Bundespolizei verfügte daher die Zurückschiebung des Klägers nach der Dublin-II-Verordnung (EG-Verordnung Nr. 343/2003, ABl. EG Nr. L 50/01). Ferner beantragte sie Haft zur Sicherung der Zurückschiebung. Das AG Passau ordnete am 3.10.2013 die vorläufige Freiheitsentziehung an. Der Kläger wurde daraufhin in die gesonderte Abteilung für Abschiebegefangene der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim gebracht. Die Ehefrau des Klägers sowie seine Tochter wurden in einer Gemeinschaftsunterkunft in Passau untergebracht.
In der Folgezeit wurde über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Wiederaufnahme des Klägers durch die Slowakei betrieben. Am 8.10.2013 beantragte die Bundespolizei Zurückschiebungshaft bis längstens zum 15.11.2013. Mit Beschluss vom 16.10.2013 ordnete das AG München unter Aufhebung der einstweiligen Anordnung des AG Passau Abschiebehaft von 44 Tagen an (beginnend rückwirkend am 3.10.2013, längstens bis zum 15.11.2013). Auf die Beschwerde des Klägers setzte das LG München I am 30.10.2013 die Vollziehung unter Auflagen - Aufenthaltnahme bei Ehefrau und Tochter in der Gemeinschaftsunterkunft in Passau; tägliche Erreichbarkeit dort um 10.00 Uhr und um 20.00 Uhr - aus und hob mit weiterem Beschluss vom 7.11.2013 die Haftentscheidung des AG München auf.
Gleichzeitig stellte das LG fest, dass die Freiheitsentziehung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Eine Entziehungsabsicht sei nicht erkennbar, jedenfalls reichten die gemachten Auflagen aus. Zwischenzeitlich hatte die Slowakei der Rücknahme des Klägers und seiner Familie zugestimmt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verfügte daraufhin die Abschiebung. Nachdem der Kläger erfolglos versucht hatte, dagegen verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen, entzog er sich der Zurückschiebung, in dem er mit seiner Familie die Zeit bis zum Ablauf der Zurückschiebefrist nach der Dublin-II-Verordnung im sog. Kirchenasyl verbrachte. Im Rahmen des deshalb in Deutschland durchgeführten nationalen Asylverfahrens wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Der Kläger hat die Beklagten auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung für die Zeit seiner Abschiebehaft i.H.v. 100 € je Hafttag (insgesamt 2.700 €) in Anspruch genommen. Das LG hat das beklagte Land - unter Abweisung der weitergehenden Klage - zur Zahlung von 810 € (27 Tage à 30 €) verurteilt und die Klage gegen die beklagte Bundesrepublik insgesamt abgewiesen. Die Berufungen des Klägers und des beklagten Landes waren erfolglos. Auf die Revisionen des Klägers und des beklagten Landes hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Gründe:
Zur Revision des Klägers:
Die Rügen der Revision zur Höhe der dem Kläger gegenüber dem Beklagten zu 1 zuerkannten Entschädigung bleiben bereits deshalb ohne Erfolg, weil dem Kläger schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Schadensersatz zusteht (siehe nachfolgend zur Revision des Freistaats Bayern).
Die Vorinstanzen sind zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen die Bundesrepublik Deutschland mangels Passivlegitimation kein Schadensersatzanspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK zusteht. Zwar ist im Verfahren der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK die Bundesrepublik als Vertragspartei Beschwerdegegner; dementsprechend trifft sie eine etwaige vom EuGH nach Art. 41 EMRK zugesprochene Entschädigung. Im Rahmen der innerstaatlichen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach Art. 5 Abs. 5 EMRK ist jedoch die Frage nach der Person des Verpflichteten durch Anwendung des Art. 34 GG zu klären.
Danach ist der Hoheitsträger (Bund, Land oder sonstige Gebietskörperschaft) verantwortlich, dessen Hoheitsgewalt bei der rechtswidrigen Freiheitsentziehung ausgeübt wurde. Der Eingriff in das Freiheitsrecht des Klägers beruhte auf den Haftentscheidungen der AG Passau und München. Über die Zulässigkeit und Fortdauer eines Freiheitsentzugs hat in Deutschland grundsätzlich nur der Richter zu entscheiden (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG). Bei einer auf der Anordnung eines Richters beruhenden Freiheitsentziehung wird mithin die Hoheitsgewalt der Gebietskörperschaft ausgeübt, in deren Dienst dieser steht. Letzteres war hier das beklagte Land und nicht die Bundesrepublik. Hieran ändert der Umstand nichts, dass die Bundespolizei Haftanträge gestellt hatte und es ohne diese nicht zur Haft gekommen wäre.
Der - im Übrigen hier in einer Anstalt des Landes vollzogene - Freiheitsentzug findet seine Grundlage allein in der richterlichen Haftanordnung. Die Vollzugszuständigkeit ist insoweit kein eigenständiger Anknüpfungspunkt für eine Passivlegitimation der Bundesrepublik. Art. 5 Abs. 5 EMRK bezieht sich grundsätzlich auch nur auf die Haft als solche, nicht dagegen den Vollzug bzw. die Haftbedingungen. Dass die zuständige Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, von sich aus eine Beendigung der Haft zu veranlassen, wenn Umstände auftreten, die einer ursprünglich rechtmäßig angeordneten Haft nachträglich ihre Grundlage entziehen, spielt in diesem Zusammenhang schon deshalb keine Rolle, weil ein solcher Fall hier unstreitig nicht vorliegt.
Zur Revision des beklagten Freistaats Bayern:
Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass es bei der Prüfung einer Haftung des beklagten Landes an die Entscheidung des LG München I vom 7.11.2013 gebunden sei. Zwar sind nach der ständigen BGH-Rechtsprechung die Zivilgerichte im Amtshaftungsprozess an rechtskräftige Entscheidungen der Verwaltungsgerichte im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkung gebunden. Die Bindungswirkung erfasst in persönlicher Hinsicht die Beteiligten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - bei Behörden deren Rechtsträger - und ihre Rechtsnachfolger und ist sachlich auf den Streitgegenstand beschränkt. Diese für den Amtshaftungsprozess entwickelten Grundsätze gelten gleichermaßen für einen Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK und insoweit auch für entsprechende Feststellungen der Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung im Abschiebehaftbeschwerdeverfahren.
Im vorliegenden Fall greift die Bindungswirkung der Entscheidung des LG München I allerdings nicht zum Nachteil des beklagten Landes. Dieses gehörte nicht zu den Verfahrensbeteiligten. Vielmehr war die Bundespolizei und damit eine Behörde der beklagten Bundesrepublik neben dem Kläger an dem zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebehaft führenden Beschwerdeverfahren vor dem LG München I beteiligt. Dessen Entscheidung kann deshalb gegenüber dem beklagten Land, das insoweit in diesem Verfahren vom Gericht kein rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) bekommen hat, keine Bindungswirkung in einem späteren Schadensersatzprozess zugesprochen werden.
Mangels Bindungswirkung kommt es damit darauf an, ob die durch die AG Passau und München angeordnete Freiheitsentziehung konventionswidrig i.S.d. Art. 5 Abs. 5 EMRK war. Dies war zu verneinen. Entgegen der Auffassung des beklagten Landes ist eine Freiheitsentziehung allerdings nicht erst dann als rechtswidrig anzusehen, wenn sie nach Amtshaftungsgrundsätzen als unvertretbar zu bewerten wäre. Für die Konventionswidrigkeit spielt die Vertretbarkeit der richterlichen Haftanordnung nämlich keine Rolle. Art. 5 Abs. 5 EMRK knüpft - anders als § 839 BGB - nicht an die persönliche (und lediglich über Art. 34 GG auf den Staat übergeleitete) Verantwortung des Beamten oder Richters an, sondern an den konventionswidrigen Freiheitsentzug, d.h. an den objektiven Konventionsverstoß. Die richterliche Maßnahme ist daher auf ihre sachliche Richtigkeit, d.h. ihre Vereinbarkeit mit der Konvention, nicht lediglich auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen.
Bezüglich der Richtigkeitskontrolle ist allerdings zu beachten, dass wenn die Anordnung einer Freiheitsentziehung auch von einer prognostischen Beurteilung tatsächlicher Umstände abhängt - wie etwa der Frage, ob Fluchtgefahr besteht beziehungsweise ob dieser auch durch ein milderes Mittel als der Haft ausreichend entgegengewirkt werden kann -, es aus der Natur der Sache nicht nur eine einzige richtige Entscheidung gibt und alle anderen Bewertungen rechtswidrig sind. Insbesondere geht es nicht an, dass der Richter im Entschädigungsprozess seine eigene Prognose einfach an die Stelle der des Haftrichters setzt.
Vielmehr kann im Rahmen der Prognosen denen Bewertungsspielräume eigen sind, auch eine andere Würdigung nachvollziehbar, tragfähig und insoweit im Rahmen des Art. 5 EMRK rechtmäßig sein. Ausgehend von diesem Maßstab kann die von den AG Passau und München angeordnete Haft nicht als konventionswidrig i.S.d. Art. 5 Abs. 5 EMRK angesehen werden. Die AG sind - nach jeweiliger Anhörung des Klägers - u.a. davon ausgegangen, dass die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung erforderlich ist und der Haftzweck nicht durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann.
Die den Haftentscheidungen insoweit zugrundeliegende Prognose ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat bei seinen Anhörungen angegeben, mit seiner Familie in Deutschland bleiben und nicht in die Slowakei zurück zu wollen. Gegenüber der Bundespolizei hatte er dies zuvor unter anderem damit begründet, dass die Situation in der Slowakei "schlimm" bzw. "wie ein Gefängnis" sei und man "dort nicht leben kann". Wenn die AG vor diesem Hintergrund davon ausgegangen sind, es bestehe die Gefahr, dass der Kläger sich nicht freiwillig der Zurückschiebung in die Slowakei stellen werde, sodass zur Sicherung Abschiebehaft nötig sei, ist diese seinerzeit angestellte Prognose nicht als rechtswidrig zu bewerten.
Eine Konventionsverletzung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus einem Verstoß gegen das sog. Trennungsgebot im Rahmen des Vollzugs der Abschiebehaft herleiten. Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des EU-Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehörige (ABl. EU Nr. L 348/98) bestimmt zwar, dass die Inhaftierung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu erfolgen hat. Hierauf lässt sich ein Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK für die nicht in einer solchen speziellen Haftanstalt, sondern lediglich in einer gesonderten Abteilung der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim vollzogene Abschiebehaft aber nicht stützen. Art. 5 Abs. 5 EMRK betrifft nur die Freiheitsentziehung als solche, nicht den Haftvollzug bzw. die Modalitäten der Haft.
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