28.04.2015

"Kollektivbeleidigung" ist nur bei Bezug zu einer hinreichend überschaubaren und abgegrenzten Personengruppe gegeben

Das Tragen eines mit der Buchstabenkombination "FCK CPS" beschrifteten Ansteckers im öffentlichen Raum ist vor dem Hintergrund des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nicht ohne weiteres strafbar. Die Verurteilung wegen Beleidung gem. § 185 StGB setzt voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht; ansonsten ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt.

BVerfG 26.2.2015, 1 BvR 1036/14
Der Sachverhalt:
Im Juli 2013 war die Beschwerdeführerin von einer Polizeistreife in ihrem Wohnort angetroffen worden, als sie einen Anstecker trug, der mit der Buchstabenkombination "FCK CPS" beschriftet war. Sie war auf Aufforderung nicht bereit, ihn abzunehmen. Einige Wochen zuvor war es zu einem ähnlichen Vorfall gekommen, bei dem die Beschwerdeführerin ein T-Shirt mit der genannten Buchstabenfolge getragen hatte und anlässlich dessen die kontrollierenden Polizeibeamten geäußert hatten, das Tragen dieses Schriftzugs stelle eine Beleidigung dar, die in Zukunft nicht mehr toleriert werde.

Das AG - Jugendrichter - verurteilte die Beschwerdeführerin wegen Beleidigung zu 15 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Das Gericht war der Ansicht, dass "FCK CPS" als Abkürzung für "Fuck Cops" stehe, was mittlerweile einem großen Personenkreis bekannt sei. Diese Äußerung sei eine Kundgabe der Missachtung, weil sie den sozialen Wert der betroffenen Personen im Amt betreffe und schmälern solle. Bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände und insbesondere der früheren Kontrolle liege eine hinreichende Individualisierung der Äußerung auf die Beamten des örtlichen Polizeikommissariats vor, die eine überschaubare und hinreichend abgrenzbare Gruppe bildeten.

Die hiergegen gerichtete Revision der Beschwerdeführerin verwarf das OLG als unbegründet. Auf die daraufhin erhobene Verfassungsbeschwerde hob das BVerfG die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurück.

Die Gründe:
Die angegriffenen Entscheidungen des AG und des OLG verletzten die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.

Zwar ist die Auslegung und Anwendung der Strafgesetze grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte. Vorliegend hat jedoch das AG in seiner Entscheidung die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung des § 185 StGB als Schranke der freien Meinungsäußerung verkannt, indem es eine hinreichende Individualisierung des negativen Werturteils angenommen hatte. Da das OLG die Revision als offensichtlich unbegründet erachtet hatte, litt seine Entscheidung an denselben Mängeln.

Eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, kann zwar unter bestimmten Umständen ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein. Je größer das Kollektiv ist, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs geht. Jedoch ist es verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet.

Diesen Vorgaben wurde das Urteil des AG nicht gerecht. Es fehlte insofern an hinreichenden Feststellungen zu den Umständen, die die Beurteilung tragen könnten, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezog. Es reichte nicht aus, dass die örtlichen Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizisten und Polizistinnen darstellten. Vielmehr bedurfte es einer personalisierenden Zuordnung, für die hier nichts ersichtlich war. Es konnte vor allem nicht angenommen werden, dass die dem Anstecker zu entnehmende Äußerung allein durch das Aufeinandertreffen der Beschwerdeführerin mit den kontrollierenden Polizeibeamten einen objektiv auf diese konkretisierten Aussagegehalt gewonnen hatte. Denn der bloße Aufenthalt im öffentlichen Raum reicht nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Benennung der Umstände nicht aus, die eine aus dem Wortlaut einer Äußerung nicht erkennbare Konkretisierung bewirken.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
  • Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BVerfG PM Nr. 23 vom 28.4.2015