18.04.2016

Kompensation des Wegfalls des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt durch den Anspruch auf Familienunterhalt

Schließt die Gläubigerin eines Anspruchs auf Betreuungsunterhalt aus § 1615 l Abs. 2 S. 2 BGB aufgrund einer fehlerhaften Beratung durch ihren Rechtsanwalt über den Fortbestand des Anspruchs bei Eheschließung die Ehe mit einem neuen Partner, kann der Wegfall des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt durch den Anspruch auf Familienunterhalt kompensiert werden.

BGH 16.3.2016, XII ZR 148/14
Der Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen unrichtiger anwaltlicher Auskunft. Die Klägerin ist Mutter einer im Oktober 2010 nichtehelich geborenen Tochter. Sie beauftragte den Beklagten, der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht ist, mit der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den Vater ihres Kindes.

In einer E-Mail vom 4.5.2011 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie in einer neuen Partnerschaft lebe und eine Heirat sowie weitere Kinder plane. Auf den Unterhalt nach § 1615 l Abs. 2 S. 2 BGB, der ihr bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres zustehe, wolle sie einerseits nicht verzichten, andererseits aber auch nichts mehr mit dem Kindesvater zu tun haben. Sie regte daher an, sich mit diesem auf eine Hochrechnung ihres Unterhalts für die drei Jahre zu einigen. Sollte dieser daran kein Interesse haben, sei sie auch gern bereit, bis zum Ablauf ihres Unterhaltsanspruchs in "wilder Ehe" mit getrennten Wohnungen zu leben, um "voll zu kassieren". Sie bat den Beklagten um Rat für das weitere Vorgehen.

Der Beklagte antwortete mit E-Mail vom 17.5.2011, der Unterhaltsanspruch nach § 1615 l Abs. 2 BGB bestehe mindestens für die dreijährige Regelbetreuung der Tochter und dauere auch fort, wenn die Klägerin heiraten oder in anderer "Lebenspartnerschaft" leben sollte. Sie müsse nicht in "wilder Ehe" leben. Die Eheschließung ändere grundsätzlich nichts am Unterhaltsanspruch gegen den Kindesvater. Die Klägerin heiratete daraufhin im August 2011. Ihr Ehemann ist leitender kaufmännischer Angestellter mit einem mtl. Bruttoeinkommen von 7.200 €. Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen entgangenen Unterhalts nach § 1615 l Abs. 2 S. 2 BGB für die Zeit von der Eheschließung bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes i.H.v. 31.173 €.

Das LG gab der Klage im Wesentlichen statt; das OLG wies sie ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat einen - dem Grunde nach wegen anwaltlicher Falschberatung gem. § 280 Abs. 1 BGB bestehenden - Schadensersatzanspruch der Klägerin dennoch zutreffend verneint. Es hat die Darlegungen der Klägerin zum Bedarf und zur Leistungsfähigkeit als nicht hinreichend angesehen, weil sie das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht vorgetragen habe, und daher einen Unterhaltsschaden als nicht schlüssig vorgetragen angesehen.

Die weitere Begründung des OLG, dass ein unterstellter Unterhaltsschaden jedenfalls nach den Grundsätzen des Vorteilsausgleichs kompensiert worden ist, trägt die Abweisung der Klage. Denn durch die Heirat ist ein Anspruch der Klägerin auf Familienunterhalt nach § 1360 BGB begründet worden, der an die Stelle des Unterhaltsanspruchs nach § 1615 l Abs. 2 S. 2 BGB getreten ist. Der nach §§ 249 Abs. 1, 251 Abs. 1 BGB zu leistende Schadensersatz umfasst alle Nachteile, die der Geschädigte verglichen mit dem hypothetischen schadensfreien Verlauf erlitten hat. Bei der Bemessung des Schadensersatzes sind hingegen nicht nur die dem Verletzten ungünstigen, sondern auch die ihm schadensbedingt günstigen Veränderungen zu berücksichtigen. Daher dürfen schädliche und nützliche Folgen des schädigenden Verhaltens nicht voneinander getrennt werden. Mit dem Schaden verbundene Vorteile sind insoweit grundsätzlich auf den Schaden anzurechnen.

Voraussetzung für eine solche Anrechnung ist, dass Schadenseintritt und Vorteil im adäquaten Ursachenzusammenhang stehen. Das ist beim Verlust des Unterhaltsanspruchs nach § 1615 l Abs. 2 S. 2 BGB und dem Entstehen des Anspruchs auf Familienunterhalt, die beide aus der Eheschließung resultieren, unzweifelhaft der Fall. Die außerdem erforderliche Kongruenz zwischen Vor- und Nachteil hat das OLG zutreffend unter Hinweis darauf bejaht, dass beide Ansprüche als Unterhaltsansprüche zur Deckung des Lebens-bedarfs der Klägerin bestimmt sind und den gesamten Lebensbedarf der (jeweils) nicht erwerbstätigen Klägerin abdecken. Dass der Unterhalt nach § 1360 BGB abgesehen von Wirtschafts- und Taschengeld nicht ohne Weiteres in Geld zu leisten ist, ändert nichts daran, dass er zur Deckung des gesamten Lebensbedarfs bestimmt ist.

Schließlich stehen der Anrechnung des Familienunterhalts auf den durch die Falschberatung des Beklagten entstandenen Unterhaltsschaden auch keine mit der Zuerkennung des Schadensersatzanspruchs verbundenen Wertungsgesichtspunkte entgegen. Die Revision weist allerdings zutreffend darauf hin, dass es sich beim Familienunterhalt um gegenseitige Pflichten der Ehegatten handelt und der Anspruch aus § 1360 BGB sich insoweit von demjenigen aus § 1615 l BGB unterscheidet. Dass es sich hierbei indessen nicht um einen ausschlaggebenden Unterschied handeln kann, zeigt sich an der gesetzlichen Regelung in § 1586 BGB. Diese führt auch beim Unterhalt nach § 1570 BGB zum Erlöschen des Anspruchs, obwohl insoweit ähnliche Unterschiede zwischen Betreuungsunterhalt und Familienunterhalt in der neuen Ehe bestehen.

Dementsprechend hat der BGH im Fall, dass bei Tötung eines im Gewerbebetrieb mitarbeitenden Ehegatten der dadurch geschädigte überlebende Ehegatte wieder geheiratet hat und in der neuen Ehe der früheren Ehe vergleichbare Leistungen erhält, einen Vorteilsausgleich angenommen, ohne darin eine ungerechtfertigte Besserstellung des Schädigers zu erblicken. Ob eine andere Betrachtung angebracht wäre, wenn der Familienunterhalt etwa mangels Leistungsfähigkeit des Ehegatten keinen adäquaten Ersatz für den weggefallenen Anspruch aus § 1615 l Abs. 2 S. 2 BGB bildet, kann hier offenbleiben. Denn der Ehemann der Klägerin ist unstreitig hinreichend leistungsfähig.

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