28.11.2017

Konkretisierung der Pflichten der Schwimmbadaufsicht und Klärung der Beweislastfragen bei Badeunfällen

Bei grob fahrlässigen Pflichtverstößen des Aufsichtspersonals eines Schwimmbades trägt der Schadensersatzpflichtige die Beweislast für die fehlende Ursächlichkeit der Pflichtverletzungen für Gesundheitsschäden des Badegastes. Die Rechtslage ist in dieser Hinsicht mit der im Arzthaftungsrecht vergleichbar. Hier wie dort handelt es sich um Pflichten die spezifisch auf den Schutz von Leben und Gesundheit gerichtet sind.

BGH 23.11.2017, III ZR 60/16
Der Sachverhalt:
Die seinerzeit zwölfjährige Klägerin machte gegen die beklagte Gemeinde Schadensersatz wegen eines Badeunfalls in einem kommunalen Freibad geltend. Sie hatte sich unter Wasser mit einem Arm in dem Befestigungsseil einer Boje verfangen, die Teil der Markierung des Übergangs zwischen zwei Schwimmbereichen war. Der Badeaufsicht war aufgefallen, dass die Boje sich abgesenkt hatte. Sie befragte zunächst zwei Kinder, ob sie das Befestigungsseil verknotet hätten, was diese verneinten.

Daraufhin bat die Aufsichtsperson einen 13 oder 14 Jahre alten Jungen, zu der Boje zu schwimmen und nach der Ursache der Absenkung schauen. Als dieser nur "etwas Glitschiges" feststellen konnte - das Wasser war trübe, weil es sich um ein naturnahes Bad handelte - holte einer der beiden Bademeister zunächst seine Schwimmbrille im Gerätehaus, begab sich sodann in das Wasser, überprüfte die Boje und fand die leblose Klägerin unter Wasser. Er befreite sie aus dem Befestigungsseil und brachte sie an Land, wo sie reanimiert wurde. Aufgrund des Sauerstoffentzugs erlitt die Klägerin massive, irreparable Hirnschädigungen. Sie ist infolgedessen schwerstbehindert und wird zeitlebens pflegebedürftig bleiben.

Die durch ihre Eltern vertretene Klägerin behauptete, bei pflichtgemäßem Handeln der Badeaufsicht hätte dieser nach ein bis zwei Minuten auffallen müssen, dass die Boje abgesenkt war. Eine sofort eingeleitete Rettung hätte innerhalb von einer Minute erfolgen können. Bei entsprechendem Verhalten der Bademeister wären die eingetretenen Schäden vermieden worden. Ihre Rettung sei jedoch um mindestens drei Minuten verzögert worden. LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass ihre Gesundheitsschäden bei einer um drei Minuten schnelleren Bergung nicht eingetreten wären. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH die Entscheidungen auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Das Berufungsgericht hat fehlerhaft allein auf die von der Klägerin behauptete Verzögerung ihrer Rettung abgestellt. Richtig ist jedoch zu prüfen, wie lange es bei pflichtgemäßem Verhalten gedauert hätte, die Klägerin zu retten, und ob bei Einhaltung dieser Zeit die Gesundheitsschäden vermieden worden wären. In diesem Zusammenhang können die Pflichten der Badeaufsicht wie folgt konkretisiert werden:

Zwar besteht keine Verpflichtung zur lückenlosen Beobachtung eines jeden Schwimmers. Doch die Schwimmaufsicht ist verpflichtet, den Badebetrieb und damit auch das Geschehen im Wasser fortlaufend zu beobachten und mit regelmäßigen Kontrollblicken daraufhin zu überwachen, ob Gefahrensituationen für die Badegäste auftreten. Dabei ist der Beobachtungsort so wählen, dass der gesamte Schwimm- und Sprungbereich überwacht werden kann, was gegebenenfalls häufigere Standortwechsel erfordert. Zu den Aufgaben der Aufsichtspersonen in einem Schwimmbad gehört es weiter, in Notfällen für rasche und wirksame Hilfeleistung zu sorgen. Infolgedessen muss das OLG im weiteren Verfahren prüfen, wie lange es unter Beachtung dieser Kriterien gedauert hätte, die Notlage der Klägerin zu erkennen und sie zu retten.

Weiterhin ist festzustellen, ob die eingetretenen Hirnschäden der Klägerin vermieden worden wären, wenn ihre Rettung innerhalb dieser Zeit erfolgt wäre. Für den Fall, dass sich dies nicht beweisen lässt, geht das nicht zum Nachteil der Klägerin, sondern zum Nachteil der Beklagten, sofern das Berufungsgericht das Verhalten der Badeaufsicht als grob fahrlässig bewertet (Beweislastumkehr). Die Rechtslage ist in dieser Hinsicht mit der im Arzthaftungsrecht vergleichbar. Hier wie dort handelt es sich um Pflichten die spezifisch auf den Schutz von Leben und Gesundheit gerichtet sind.

Die Verletzung der Schutzpflichten der Schwimmaufsicht ist, wenn ein Badegast einen Gesundheitsschaden erleidet - nicht anders als bei ärztlichen Pflichtverstößen - dazu geeignet, aufgrund der komplexen, im Nachhinein nicht mehr exakt rekonstruierbaren Vorgänge im menschlichen Organismus erhebliche Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineinzutragen, so dass es der Billigkeit entspricht, für den Fall einer groben Pflichtverletzung dem Geschädigten die regelmäßige Beweislastverteilung nicht mehr zuzumuten.

Linkhinweise:

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BGH PM Nr. 189 vom 28.11.2017