Kostentragung bei einer Entschädigungsklage
KurzbesprechungGVG § 198 Abs. 1, Abs. 3
FGO § 135 Abs. 1, § 138 Abs. 1, § 155
ZPO § 93
Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Im Streitfall war das Ausgangsverfahren insgesamt um 16 Monate verzögert, was sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs ergab.
Dem Entschädigungsanspruch der Klägerin stand auch die im Regelfall lediglich begrenzte Rückwirkung einer wirksamen Verzögerungsrüge nicht entgegen.
Der BFH hat zwar die unbeschränkte Rückwirkung von Verzögerungsrügen verneint, da diese dem präventiven Aspekt des Gesetzeszwecks nicht entspricht, sondern diesen leerlaufen lässt. Um trotzdem die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsprechung im Bereich der Entschädigungsklagen zu verbessern, erschien es dem BFH notwendig, den in der Rechtspraxis nur schwer fassbaren Zeitraum eines unzulässigen "Duldens und Liquidierens" durch eine Vermutungsregel zu typisieren. Er hat für den Regelfall einen Zeitraum von gut sechs Monaten, für den eine Verzögerungsrüge zurückwirkt, als angemessen und zumutbar angesehen.
Im Streitfall entschied der BFH, dass es kein Zeichen eines unzulässigen "Duldens und Liquidierens" ist, wenn der Kläger auf die Ankündigung des Gerichts, das Verfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt voraussichtlich abzuschließen, vertraut und ihm damit die Möglichkeit gibt, das Verfahren den eigenen Planungen entsprechend zu betreiben. In einem solchen Fall kann eine Verzögerungsrüge länger als nur den Regelzeitraum von sechs Monaten zurückwirken.
Die Kosten des Verfahrens waren, auch soweit die Rechtssache in der Hauptsache erledigt ist, dem FA aufzuerlegen, denn dem Entschädigungsbegehren der Klägerin war materiell-rechtlich voll entsprochen worden. Es bedarf zwar keiner erfolglosen vorgerichtlichen Zahlungsaufforderung, um eine Entschädigungsklage erfolgreich erheben zu können, denn der Entschädigungsanspruch kann nach allgemeinen Grundsätzen außergerichtlich gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger geltend gemacht und befriedigt werden. Entscheidet sich ein Entschädigungskläger aber unmittelbar zur Klageerhebung, trägt er das Risiko, die Kosten des Entschädigungsverfahrens gemäß § 93 ZPO tragen zu müssen, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt.
Im konkreten Streitfall war es jedoch aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls unbillig, der Klägerin die Kosten für den erledigten Teil des Rechtsstreits aufzuerlegen. Denn es gab im Zeitpunkt der Klageerhebung noch keine gerichtliche Entscheidung, in der dem Entschädigungskläger die Kosten des Entschädigungsverfahrens gemäß § 93 ZPO auferlegt wurden, weil der Beklagte sofort anerkannt hatte. Dem Prozessvertreter der Klägerin wurde zudem im Jahr 2012 im Rahmen eines anderen Entschädigungsbegehrens von dem Vorsitzenden des dort betroffenen Senats desselben FG schriftlich mitgeteilt, ihm werde anheimgestellt, das Entschädigungsbegehren durch Klage beim BFH zu verfolgen. Das FG sei für die Festsetzung von Entschädigungen gemäß § 198 GVG nicht zuständig.
Bei dem Prozessvertreter musste daher aufgrund der klaren Aussage in dem Schreiben aus dem Jahr 2012 der Eindruck entstehen, diese Auffassung sei abgestimmt und werde im FG geteilt. Unter diesen konkreten Umständen des Einzelfalles erschien es dem BFH unbillig, von der Klägerin im Jahr 2016 bei diesem konkreten Gericht erneut eine vorherige Zahlungsaufforderung zu verlangen, um der Kostenpflicht bei einem sofortigen Anerkenntnis zu entgehen. Somit hatte der das FA auch insoweit die Kosten gemäß § 138 Abs. 1 FGO zu tragen.
BFH, Urteil vom 29.11. 2017, X K 1/16, veröffentlicht am 10.1.2018.