16.01.2017

Mitverschulden des Tierarztes bei Verletzung durch Stute

Verletzt eine Stute einen Tierarzt, der ihr Fohlen behandeln will, kann dem Tierarzt ein Mitverschulden anzurechnen sein (hier: mit einem Anteil von 1/4), wenn er sich der Stute in einer erkennbar gefährlichen Situation unsachgemäß genähert hat und dann durch einen Tritt des Pferdes verletzt wurde. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine wesentlich weniger risikobehaftete Methode zur Verfügung stand, um die beiden Pferde zu trennen.

OLG Hamm 19.12.2016, 6 U 104/15
Der Sachverhalt:
Der beklagte Hobbypferdezüchter war Halter einer bisher ungerittenen Zuchtstute und ihres rd. drei Wochen alten Fohlens. Er rief den Kläger, einen Tierarzt, wegen eines Notfalls zu Hilfe. Dieser sollte das an Durchfall erkrankte Fohlen im Reitstall des Beklagten ärztlich behandeln. Beim Eintreffen des Klägers befanden sich Stute und Fohlen in einer ca. 3,18 x 3,15 m großen Pferdebox. Der Beklagte hatte die Stute mit dem Kopf zur hinteren rechten Ecke gerichtet mit Halfter und Führstrick angebunden.

Um das Fohlen zum Zwecke der Untersuchung und Behandlung von der Stute zu trennen, versuchte der Beklagte zunächst vergeblich, dem Jungtier einen Halfter über den Kopf zu streifen. Daraufhin begab sich der Kläger ca. 1 m weit in den vorderen Teil der Box, um das Fohlen von vorn am Kopf des Tieres zu fixieren. In diesem Moment drehte sich die Stute mit der Kruppe in Richtung Boxentür um und trat aus, wobei sie den Kläger am linken Oberschenkel traf und schwer verletzte. Der Kläger erlitt Frakturen, Muskel-, Kreuzband-, Gelenkkapsel- und Meniskusverletzungen, er musste operiert und stationär behandelt werden.

Aufgrund der erlittenen Verletzungen verlangt der Kläger vom Beklagten 100 Prozent Schadensersatz. Ihm sei kein Mitverschulden anzulasten, so der Kläger, weil er als Tierarzt aufgrund der Berufsordnung zur Behandlung des erkrankten Fohlens verpflichtet gewesen sei und dem Beklagten beim Ausführen des Fohlens aus der Pferdebox habe helfen müssen. Ein vom Haftpflichtversicherer des Beklagten auf der Basis einer 50-prozentigen Haftungsquote unterbreitetes Vergleichsangebot lehnte der Kläger ab.

Das OLG gab der auf Feststellung der Schadensersatzpflicht gegen den Beklagten gerichteten Klage unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote von 1/4 zulasten des Klägers statt.

Die Gründe:
Der Beklagte haftet aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung als Tierhalter für den Schaden, den seine Stute an der Gesundheit des Klägers verursacht hat. In der Verletzung des Klägers hat sich die typische Tiergefahr realisiert. Allerdings ist dem Kläger ein Mitverschulden anzulasten, das mit einer Quote von 1/4 zu bemessen ist. Dieses ist in seinem tatsächlichen Verhalten vor der Verletzung begründet.

Vor dem Betreten der Pferdebox war für den Kläger unschwer zu erkennen, dass er in der für beide Pferde erheblich zu gering dimensionierten Pferdebox an jeder Stelle vom Huf der - sichtlich erregten - Stute getroffen werden konnte. Am Unfalltage haben er und der Beklagte mit einem Widerstand der Stute gegen die gebotene Trennung von Muttertier und Fohlen gerechnet, wobei das Anbinden der Stute ihren Erregungszustand noch erhöht hat. In dieser Situation hätte der Kläger die Pferdebox nicht betreten dürfen.

Nach den Ausführungen des tiermedizinischen Sachverständigen musste mit einer Reaktion der Stute in einer so kurzen Zeitspanne gerechnet werden, die keine menschliche Abwehrhandlung mehr zulässt. Um die beiden Pferde zu trennen, stand eine wesentlich weniger risikobehaftete Methode zur Verfügung, bei der der Schaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. Die Stute und ihr Fohlen hätten durch ein Hinaus- und Wiederhineinführen beider Pferde aus und in die Pferdebox, ggf. unter Inanspruchnahme einer Nachbarbox und u.U. in mehreren solchen Versuchen, voneinander getrennt werden können, indem die Boxentür zwischen Stute und Fohlen geschlossen worden wäre. Dieses zum Trennen der Tiere geeignete Vorgehen wäre dem Kläger auch zumutbar gewesen und hätte die Gefahr einer Verletzung erheblich verringert.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge - auf Seiten des Beklagten war zu berücksichtigen, dass er die Pferde in einer zu kleinen Box gehalten und die Stute unsachgemäß mit dem Kopf vom Fohlen entfernt angebunden hat - verbleibt ein mit der Quote von 1/4 zu bemessenes Mitverschulden beim Kläger.

OLG Hamm PM vom 16.1.2017