14.09.2015

Motorradfahren im Pulk kann zu Haftungsausschluss führen

Fahren Motorradfahrer einvernehmlich auf der Landstraße in wechselnder Reihenfolge als Gruppe ohne Einhaltung des Sicherheitsabstandes, führt dies zu einem Haftungsausschluss im Hinblick auf diesen Umstand. Kollidiert der dritte Fahrer mit dem zweiten, nachdem der erste einen Unfall verursacht hat und beide nicht mehr ausreichend bremsen können, hat der zweite gegen den dritten keine Ansprüche aus §§ 7, 17 StVG.

OLG Frankfurt a.M. 18.8.2015, 22 U 39/14
Der Sachverhalt:
Der Kläger war im April 2011 auf seinem Motorrad gemeinsam mit seinem Bruder, seinem Schwager sowie dem Beklagten zu 1) auf einer Landstraße unterwegs. Das Motorrad des Beklagten zu 1) war bei der Beklagten zu 2) versichert. Der Zeuge A., der mit seinem Kraftrad als erster in der Motorradgruppe fuhr, kollidierte in einer Kurve mit dem ihm entgegenkommenden Fahrzeug der Zeugin B. Der Kläger fuhr dahinter und stürzte mit seinem Motorrad. Als dritter fuhr der Beklagte zu 1) und kam ebenfalls zu Fall. Als letzter fuhr der Zeuge C., der zwischen den rutschenden und liegenden Motorrädern hindurchfahren konnte. Der Kläger erlitt durch den Sturz erhebliche Verletzungen, sein Motorrad wurde vollständig beschädigt.

Der Kläger behauptete später, er habe aufgrund der Kollision des vor ihm fahrenden Zeugen sein Motorrad abbremsen müssen. Er habe sein Motorrad noch rechtzeitig zum Stehen bringen können, als der Beklagte zu 1) mit seinem Motorrad unvermittelt auf das Heck des Motorrads aufgeprallt und ihn mit sich geschleppt habe. Der Beklagte zu 1) habe den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten.

Das LG wies die Klage ab. Es war der Ansicht, dass nach dem Sachverständigengutachten und seiner Anhörung nicht ausreichend sicher feststellbar sei, dass der Beklagte mit seinem Motorrad gegen das Heck des Motorrads des Klägers gestoßen sei und dieses zu Fall gebracht habe. Es sei nicht auszuschließen, dass die Beschädigungen am Heck des klägerischen Fahrzeugs und an der Front des Beklagtenfahrzeugs durch Kollisionen während der Rutschphase, insbesondere mit den Fahrbahnbegrenzungen, eingetreten seien. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers blieb vor dem OLG erfolglos.

Die Gründe:
Der Senat ging angesichts der Gesamtumstände und des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon aus, dass vorliegend die Haftung des Beklagten zu 1) bereits dem Grunde nach ausschied. Auch bei Unterstellung, dass der Sturz des Klägers maßgeblich durch die Kollision mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) entstanden war, was grundsätzlich zu einer Haftung gem. § 7 StVG führen würde, wäre die Haftung des Beklagten zu 1) wegen eines stillschweigend vereinbarten Haftungsverzichts für Gefährdungshaftung und leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen.

Es war eindeutig, dass die Motorradgruppe einvernehmlich den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hatte. Für den Senat stellte sich damit das durchaus im Straßenverkehr vertraute Bild dar, dass Motorradfahrer in einer Gruppe fahren, bei der alle den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht einhalten und die Reihenfolge je nach Verkehrssituation und anderen Umständen wechseln kann. Angesichts dieser Situation war davon auszugehen, dass alle Beteiligten in der Gruppe einvernehmlich ein besonderes Risiko eingegangen waren, um das entsprechende Gruppenfahrgefühl zu erreichen. Jedem der Gruppe hätte die gleiche Situation passieren können wie dem Kläger. Dass der Zeuge C. hindurchfahren konnte, mag daran gelegen haben, dass er eine geringfügig längere Reaktionszeit hatte als die vor ihm fahrenden Motorradfahrer. Sämtliche Teilnehmer der Gruppe nahmen mithin billigend in Kauf, dass entweder sie selbst oder der hinter ihnen fahrende Fahrer bei einer Unfallsituation oder sonstigen Störungen nicht ausreichend bremsen konnte und es mithin zu Schädigungen der anderen Gruppenteilnehmer kommen konnte.

Der BGH hat bei sportlichen Wettbewerben mit nicht unerheblichen Gefahrenpotenzial, bei denen typischerweise auch bei Einhaltung der Regel oder geringfügigen Regelverletzung die Gefahr gegenseitiger Schadenzufügung besteht, die Inanspruchnahme des Schädigers für solche Schäden eines Mitbewerbers ausgeschlossen, die er ohne gewichtige Regelverletzung i.S. grober Fahrlässigkeit verursacht. Infolgedessen war zu folgern, dass das Verbot des venire contra factum proprium (§ 242 BGB) es nicht zulässt, dass der Geschädigte einen Schädiger in Anspruch nimmt, wenn er bei getauschten Positionen ebenso gut in die Lage hätte kommen können, in der sich hier der Beklagte befand.

Wird die allgemeine Gefahr, die mit der gemeinsamen Betätigung verbunden ist, von den Beteiligen bewusst auf sich genommen und kann dem einen kein größerer Vorwurf gemacht werden als dem anderen, so besteht keine Veranlassung, den einen mit höheren Haftungsrisiken zu belasten als den anderen. Im Streitfall war das verabredungsgemäße Fahren im Pulk deshalb besonders gefahrenträchtig, weil damit notwendig und für die Beteiligten erkennbar der weitergehende Verzicht auf die von der StVO vorgeschriebenen Sicherheitsabstände zum Vorder- und Hintermann einherging. Dies bedeutete aber zugleich die Inkaufnahme der damit unweigerlich verbundenen erhöhten Sturzrisiken, die auch bei erhöhter Aufmerksamkeit der Fahrer nie auszuschließen waren, weil jederzeit Verkehrssituationen auftreten können, auf die mit plötzlichen Richtungswechseln oder abrupten Bremsmanövern reagiert werden muss.

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