Nierenentfernung bei einem Kind: Klinik haftet für intraoperative Aufklärungspflichtverletzung
OLG Hamm 7.12.2016, 3 U 122/15Der im Juli 2004 geborene Kläger litt u.a. an multiplen Nierengewebsdefekten und an einem erweiterten Nierenbeckenkelchsystem, weswegen die linke Niere noch 22 % ihrer Funktion hatte. Nach Voruntersuchungen in dem beklagten Klinikum, einer Bedenkzeit für seine Eltern und einem mit ihnen geführten Aufklärungsgespräch wurde der Kläger im Januar 2013 operiert. Bei der Operation sollte eine neue Verbindung zwischen dem Nierenbecken und dem Harnleiter geschaffen werden, um die Abflussverhältnisse der linken Niere zu verbessern.
Währen der Operation stellte sich heraus, dass die geplante Rekonstruktion aufgrund nicht vorhersehbarer anatomischer Gegebenheiten nicht möglich war. Die Operation wurde unterbrochen, eine behandelnde Ärztin schilderte den Kindeseltern die veränderte Situation und empfahl die sofortige Entfernung der linken Niere. Die Kindeseltern stimmten zu, die Operation wurde fortgesetzt und die linke Niere des Klägers entfernt.
Nach der Operation beanstandete der Kläger die Entfernung der linken Niere, machte Aufklärungsmängel geltend und verlangte vom Klinikum und der interoperativ aufklärenden Ärztin Schadensersatz, u.a. ein Schmerzensgeld i.H.v. 25.000 €.
Das OLG gab der Klage teilweise statt und sprach dem Kläger aufgrund eines Aufklärungsmangels 12.500 € Schmerzensgeld zu. Das Urteil ist rechtskräftig.
Die Gründe:
Die Eltern des Klägers wurden während der Operation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt. Als sich in dem Moment herausstellte, dass die ursprünglich geplante Rekonstruktion nicht möglich war, lag eine neue Situation vor, die eine veränderte Behandlung erforderlich machte. Diese Situation erforderte eine neue Aufklärung und eine neue Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern des Klägers. Hiervon gingen offensichtlich auch die behandelnden Ärzte aus, da sie die Operation unterbrochen haben, um mit den Eltern das weitere Vorgehen zu besprechen. Die daraufhin erfolgte Aufklärung war allerdings unzureichend, weil die das Aufklärungsgespräch führende Ärztin die Entfernung der linken Niere als alternativlos dargestellt und die sofortige Nierenentfernung empfohlen hat.
Nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen war es intraoperativ nicht zwingend notwendig, die Niere sofort zu entfernen. Es wäre möglich gewesen, die Operation so zu beenden, dass das Nierenbecken verschlossen und die Niere über eine Nieren-Haut-Fistel abgeleitet werde, um danach die weitere Vorgehensweise in Ruhe mit den Eltern zu besprechen. Dabei bestand neben der Nierenentfernung auch die - wenn auch mit höheren Risiken und zweifelhaften Erfolgsaussichten verbundene - Möglichkeit, später nierenerhaltend zu operieren. Eventuell hätte so die Restfunktion der linken Niere erhalten werden können.
Vorliegend bedurfte es angesichts der Tragweite und Bedeutung der Entscheidung zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Klägers der intraoperativen Aufklärung seiner Eltern dahingehend, dass neben der sofortigen Entfernung der linken Niere auch der Abbruch der Operation mit einer äußeren Harnableitung für eine Übergangszeit möglich war. Nach Beendigung der Operation hätte dann eine ärztliche Aufklärung, Beratung und eine Entscheidung der Eltern in Bezug auf mögliche andere, auch riskante und schwierigere Wege der Nierenerhaltung erfolgen können. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass sich die Kindeseltern vor der Operation - nach Bedenkzeit und Beratung durch einen niedergelassenen Urologen - ausdrücklich gegen eine Nierenentfernung entschieden hätten.
Es kann auch nicht von einer hypothetischen Einwilligung der Eltern in die sofortige Entfernung der Niere ausgegangen werden. Vielmehr ist anzunehmen, dass sich die Kindeseltern in einem echten Entscheidungskonflikt zwischen der sofortigen Nierenentfernung und der Möglichkeit der Übergangslösung befunden hätten. Da die gebotene Aufklärung vorliegend versäumt worden ist, war die intraoperativ erteilte Einwilligung der Eltern, die linke Niere des Klägers zu entfernen, unwirksam und der Eingriff damit rechtswidrig. Angesichts der Vorschädigung der entfernten Niere ist das zuerkannte Schmerzensgeld angemessen.