08.05.2018

Notleitungsrecht: Leitungen dürfen auch durch ein Gebäude führen

Das Notleitungsrecht kann auch dazu berechtigen, Leitungen durch ein Gebäude zu führen; eine Einschränkung ergibt sich nur aus dem Gebot, die für den Duldungspflichtigen geringstmögliche Belastung zu wählen.

BGH 26.1.2018, V ZR 47/17
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Schleswig-Holstein, die durch Teilung eines Grundstücks im Jahr 1977 entstanden sind. Die beiden Grundstücke der Kläger sind bebaut, verfügen aber - anders als das angrenzende Grundstück des Beklagten - über keine direkte Verbindung zu einer öffentlichen Straße. Das Grundstück des Beklagten ist in voller Breite mit einem Wohnhaus bebaut. Die Ver- und Entsorgungsleitungen zu den Grundstücken der Kläger verlaufen seit der Errichtung der Gebäude in den Jahren 1900 bis 1910 von der öffentlichen Straße durch den Keller dieses Wohnhauses. Dinglich abgesicherte Leitungsrechte bestehen insoweit nicht.

Die Kläger verlangten von dem Beklagten, das auf seinem Grundstück befindliche Leitungszubehör ihrer Grundstücke sowie dessen notwendige Unterhaltung und erforderlichenfalls Neuanlage zu dulden. Das LG wies die Klage, mit der eine entsprechende Duldungspflicht des Beklagten zunächst (nur) festgestellt werden sollte, ab. Das OLG gab im Berufungsverfahren der unmittelbar auf Duldung gerichteten Klage mit der Maßgabe statt, dass ein Betreten der Räume durch Dritte in der Regel nur nach vorheriger Ankündigung und zu näher festgelegten Zeiten möglich ist. Die hiergegen gerichtete Revision des Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.

Gründe:
Das Berufungsgericht hat zu Recht die Voraussetzungen eines Notleitungsrechts analog § 917 BGB bejaht.

Das Notleitungsrecht kann auch dazu berechtigen, Leitungen durch ein Gebäude zu führen; eine Einschränkung ergibt sich nur aus dem Gebot, die für den Duldungspflichtigen geringstmögliche Belastung zu wählen. Der Wortlaut des § 917 Abs. 1 BGB nimmt eine Beschränkung auf bestimmte Flächen eines Grundstücks, die in Anspruch genommen werden können, nicht vor. Satz 1 der Vorschrift spricht nur allgemein davon, dass der Eigentümer des notleidenden Grundstücks von den Nachbarn verlangen kann, die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung zu dulden. Danach kann das gesamte Grundstück, gleich ob dieses bebaut ist oder nicht, in Anspruch genommen werden.

Im Rahmen des unmittelbaren Anwendungsbereichs der Vorschrift ist anerkannt, dass der Notweg nicht nur über den Grund und Boden selbst führen, sondern auch über diesem oder unter dem Boden hergestellt werden kann. Daher kann auch eine Untertunnelung, etwa zur Herstellung einer Tiefgaragenausfahrt, in Betracht kommen. Für das Notleitungsrecht gilt nichts anderes. Es ermöglicht nicht nur die Mitbenutzung der auf dem belasteten Grundstück vorhandenen Leitungen, sondern auch die ober- und unterirdische Herstellung von Leitungen auf dem Nachbargrundstück. Im Grundsatz können die Leitungen auch durch bestehende Gebäude geführt werden, ohne dass es auf die Art der Gebäudenutzung ankommt. Soweit der Senat ausgeführt hat, dass das Notleitungsrecht analog § 917 BGB nicht die Befugnis zur Inanspruchnahme von Wohngebäuden umfasst (Urt. v. 10.6.2011, Az.: V ZR 233/10), hält er daran nicht fest.

Die Inanspruchnahme von Gebäuden zum Zwecke der Verlegung von Versorgungsleitungen wird insofern grundsätzlich nur dann in Betracht kommen, wenn eine Verbindung zu dem öffentlichen Leitungsnetz anders auf dem Nachbargrundstück nicht hergestellt werden kann. Nach diesen Maßstäben ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden, insbesondere ist das Gebot der geringstmöglichen Belastung des Verpflichteten gewahrt worden. Dass die Leitungen in einer das Grundstück des Beklagten schonenderer Weise, insbesondere im Boden, verlegt werden könnten, ist angesichts der Bebauung in voller Breite nicht erkennbar und wird von dem Beklagten auch nicht geltend gemacht. Der Beklagte kann insbesondere nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass die Leitungen über andere Grundstücke verlegt werden könnten.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für den Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.
BGH online