NS-Raubkunst: Deutsches Historisches Museum muss die Plakatsammlung Sachs an Erben herausgeben
BGH 16.3.2012, V ZR 279/10Die Entscheidung betrifft die kulturhistorisch wertvolle Plakatsammlung des jüdischen Zahnarztes Dr. Hans Sachs, die sich heute im Besitz des beklagten Deutschen Historischen Museums, einer Stiftung Öffentlichen Rechts, befindet. Das Reichspropagandaministerium ließ die Sammlung 1938 aus der Wohnung von Dr. Sachs in Berlin-Schöneberg wegnehmen. Dr. Sachs emigrierte Ende 1938 in die USA. Nach dem Krieg war die Sammlung verschollen. Für ihren Verlust bekam Dr. Sachs 1961 im Vergleichsweg eine Wiedergutmachungszahlung von 225.000 DM nach dem Bundesrückerstattungsgesetz.
Erst später erfuhr er, dass Teile der Sammlung in einem Museum der DDR aufgetaucht waren. Dr. Sachs starb 1974 und wurde von seiner Frau beerbt. Sie starb 1998, ohne nach der Wiedervereinigung irgendwelche Ansprüche wegen der Sammlung erhoben zu haben. Sie wurde von dem Kläger, dem Sohn Dr. Sachs, beerbt. Dieser verlangte von der Beklagten zunächst die Herausgabe von zwei Plakaten ("Dogge" und "Die blonde Venus"). Die Beklagte wollte im Wege der Widerklage festgestellt wissen, dass der Kläger nicht Eigentümer der Plakatsammlung sei, hilfsweise, dass er nicht berechtigt sei, die in ihrem Besitz befindlichen Plakate heraus zu verlangen.
Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Herausgabe des Plakats "Dogge". Die weitergehende Klage sowie die Widerklage wies es ab. Das KG stellte - unter Abweisung aller übrigen Anträge - gemäß dem Hilfswiderklageantrag der Beklagten fest, dass der Kläger nicht berechtigt ist, die sich im Besitz der Beklagten befindlichen Plakate aus der Sammlung seines Vaters heraus zu verlangen.
Auf die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her. Die Herausgabe des Plakats "Die blonde Venus", welches nicht zweifelsfrei der Sammlung Sachs zugeordnet werden konnte, hatte der Kläger zuletzt nicht mehr verlangt. Die Anschlussrevision der Beklagten, mit der diese den Hauptwiderklageantrag (Feststellung, dass der Kläger nicht Eigentümer der Plakatsammlung ist) weiterverfolgt hatte, hatte keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der Kläger ist Eigentümer der Plakatsammlung und kann diese von der Beklagten herausverlangen.
Das KG ist zu Recht davon ausgegangen, dass Dr. Sachs das Eigentum an der Plakatsammlung zu keiner Zeit verloren hat. Insbes. ließ sich nicht feststellen, dass er die Sammlung, die sich bis zur Wegnahme im Jahr 1938 in seinem Besitz befand, zuvor an einen zum Ankauf bereiten Bankier übereignet hatte. Der Zugriff des Reichspropagandaministeriums änderte die Eigentumsverhältnisse nicht, denn es handelte sich um eine Wegnahme ohne förmlichen Enteignungsakt. Dass die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz von 1941, in welcher der Verfall jüdischen Vermögens angeordnet wurde, wegen ihres Unrechtsgehalts keine Rechtswirkungen zu erzeugen vermochte, hat der BGH bereits 1955 entschieden.
Die besonderen Regelungen über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts verdrängen nicht den zivilrechtlichen Eigentumsherausgabeanspruch (§ 985 BGB) des Klägers. Das Vermögensgesetz findet hier keine Anwendung, weil die Wegnahme der Plakatsammlung nicht im (späteren) Beitrittsgebiet, sondern im Westteil Berlins stattfand. Die Vorschrift des Art. 51 S. 1 der Rückerstattungsanordnung für das Land Berlin (REAO) und das Bundesrückerstattungsgesetz schließen den Anspruch ebenfalls nicht aus.
Zwar hat der BGH in den 1950er Jahren entschieden, dass Ansprüche, die sich aus der Unrechtmäßigkeit einer nationalsozialistischen Enteignungsmaßnahme ergeben, grundsätzlich nur nach Maßgabe der zur Wiedergutmachung erlassenen Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetze und in dem dort vorgesehenen Verfahren verfolgt werden können. Diesen Vorschriften kommt aber dann kein Vorrang gegenüber einem Herausgabeanspruch nach § 985 BGB zu, wenn der verfolgungsbedingt entzogene Vermögensgegenstand - wie hier und anders als in den bislang durch den BGH entschiedenen Fällen - nach dem Krieg verschollen war und erst nach Ablauf der Anmeldefrist für Rückerstattungsansprüche (hier gem. Art. 50 Abs. 2 S. 1 REAO am 30.6.1950) wieder aufgetaucht ist.
War der Verbleib des entzogenen Gegenstands bis zum Ablauf dieser Frist unbekannt, konnte der Geschädigte im Rahmen des Rückerstattungsverfahrens nicht dessen Rückgabe erreichen, sondern nur eine Entschädigung in Geld verlangen. Bliebe es auch nach Wiederauftauchen des entzogenen Gegenstands dabei, wäre dem Geschädigten - trotz fortbestehenden Eigentums - durch die alliierten Rückerstattungsvorschriften jede Möglichkeit genommen, die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands zu verlangen. Auf diese Weise würde das nationalsozialistische Unrecht perpetuiert. Das ist jedoch mit dem Zweck der alliierten Rückerstattungsvorschriften, die Interessen der Geschädigten zu schützen, nicht zu vereinbaren.
Der Herausgabeanspruch ist i.Ü. entgegen der Auffassung des KG nicht verwirkt. Dass er in den ersten 16 Jahren nach der Wiedervereinigung nicht geltend gemacht worden ist, genügt nicht hierfür nicht.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
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