12.07.2016

Pflichtteilsergänzungsanspruch: Übertragung des Miteigentumsanteils an einem Hausgrundstück unter Vorbehalt eines Wohnungsrechtes

Behält sich der Erblasser bei Schenkung eines Grundstücks ein Wohnungsrecht an diesem oder Teilen daran vor, so kann hierdurch in Ausnahmefällen (hier verneint) der Beginn des Fristlaufs gem. § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles, anhand derer beurteilt werden muss, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen konnte.

BGH 29.6.2016, IV ZR 474/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger machte Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen seine Mutter geltend, nachdem sein Vater im August 2012 verstorben war. Die Mutter war testamentarische Alleinerbin. Bereits im Dezember 1993 hatten der Erblasser und die Beklagte ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück auf ihren zweiten Sohn und Bruder des Klägers übertragen. Hierbei behielten sie sich ein Wohnungsrecht an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss, die Mitbenutzung des Gartens, der Nebenräume sowie alle Leitungen und Anlagen zur Versorgung des Anwesens einschließlich der Nutzung der Garage vor. Außerdem durfte der übernehmende Sohn das Grundstück zu ihren Lebzeiten weder veräußern noch darauf ohne ihre Zustimmung Um- oder Ausbaumaßnahmen vornehmen. Die Grundbucheintragung erfolgte im November 1994.

Der Kläger hielt die Grundstücksübertragung für eine bei der Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs zu berücksichtigende Schenkung. Er begehrt soweit für das Revisionsverfahren noch von Belang die Verurteilung der Beklagten, den Wert des Hausgrundstücks zu den Stichtagen 22.11.1994 und 16.8.2012 durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens ermitteln zu lassen, sowie festzustellen, dass der Miteigentumsanteil des Erblassers an diesem Hausgrundstück der Pflichtteilsergänzung nach ihm unterliegt.

Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Die Gründe:
Dem Kläger stand kein Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen der Grundstücksschenkung aus dem Jahr 1993 zu, da die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB im Zeitpunkt des Erbfalls abgelaufen war.

Der Senat hat in seinem Grundsatzurteil vom 27.4.1994 (Az.: IV ZR 132/93) entschieden, dass eine Leistung i.S.v. § 2325 Abs. 3 Hs. 1 BGB in der bis zum 31.12.2009 geltenden Fassung erst dann vorliegt, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche im Wesentlichen weiterhin zu nutzen. An dieser Rechtsprechung ist auch nach der Neufassung des § 2325 Abs. 3 BGB zum 1.1.2010 festzuhalten. Aus der Gesetzgebungsgeschichte lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der prorata-Regelung zugleich inhaltliche Änderungen an der seit langem bekannten und gefestigten Rechtsprechung des Senats vornehmen wollte.

Eine derartige Benachteiligungsabsicht des Erblassers kann sowohl nach bisherigem als auch nach neuem Recht dann eintreten, wenn der Eigentümer zwar seine Rechtsstellung formal aufgibt, wirtschaftlich aber weiterhin im "Genuss" des verschenkten Gegenstandes bleibt. Die Frage, ob und inwieweit auch vorbehaltene Wohnrechte an dem übertragenen Grundstück einem Fristbeginn i.S.v. § 2325 Abs. 3 BGB entgegenstehen können, ist im Anschluss an die Senats-Rechtsprechung in der Instanzrechtsprechung unterschiedlich beurteilt worden. Diese geht überwiegend davon aus, dass eine Leistung i.S.v. § 2325 Abs. 3 BGB und damit ein Fristbeginn mit der Eigentumsumschreibung im Grundbuch vorliegt, wenn sich der Erblasser ein Wohnrecht lediglich an einem Teil des Hausgrundstücks vorbehält. Das soll jedenfalls dann gelten, wenn sich der Erblasser im Übergabevertrag nicht noch zusätzlich das Recht vorbehalten hat, das Grundstück bei Pflichtverstößen des Begünstigten zurückfordern zu können.

Ob auch ein vorbehaltenes Wohnungsrecht wie ein Nießbrauch den Fristbeginn des § 2325 Abs. 3 BGB hindern kann, lässt sich nicht abstrakt beantworten. Dies bedeutet aber nicht, dass nicht auch - in Ausnahmefällen - bei der Einräumung eines Wohnungsrechts der Beginn des Fristablaufs gem. § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein könnte. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles, anhand derer beurteilt werden muss, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen konnte. Infolgedessen war nicht zu beanstanden, dass das OLG hier von einem Fristbeginn bereits mit der Eintragung im Grundbuch im November 1994 ausgegangen war, so dass die Zehnjahresfrist im Zeitpunkt des Erbfalls im August 2012 abgelaufen war.

Es war darauf abzustellen, dass der Erblasser und seine Ehefrau sich ein Wohnungsrecht nicht an dem aus drei Etagen (Erd-, Ober- und Dachgeschoss) bestehenden gesamten Haus vorbehalten hatten, sondern dieses ausweislich des notariellen Vertrages lediglich die Räumlichkeiten im Erdgeschoss, die Mitbenutzung des Gartens, der Nebenräume sowie alle Leitungen und Anlagen zur Versorgung des Anwesens einschließlich der Nutzung der Garage umfasste. Besteht das im Wohnungsrecht verankerte Ausschließungsrecht nur an Teilen der übergebenen Immobilie, so ist der Erblasser - anders als beim Vorbehalt des Nießbrauchs - mit Vollzug des Übergabevertrages nicht mehr als "Herr im Haus" anzusehen. Hieran änderte auch der Umstand nichts, dass die Eltern zusammen mit dem Übernehmer noch das Bad im Obergeschoss sowie nach dem Vortrag des Klägers zwei Zimmer im Obergeschoss nutzten.

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