Postausgangskiste des Prozessbevollmächtigten gehört noch zu seinem organisatorischen Verantwortungsbereich
BGH 16.8.2016, VI ZB 40/15Der Kläger nimmt den Beklagten u.a. auf Schmerzensgeld in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Gegen das ihm am 28.7.2015 zugestellte Urteil legte der Kläger rechtzeitig Berufung ein. Nach Hinweis des Vorsitzenden des OLG, die Berufung sei nicht begründet worden, übermittelte der Kläger am 12.10.2015 eine auf den 8.9.2015 datierte Berufungsbegründung. Zugleich beantragte er, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Berufungsbegründung sei am 8.9.2015 für den Postversand frankiert und in das Postversandfach gelegt worden. Dort sei sie offensichtlich hinter das Regal des Postfaches gerutscht und erst im Rahmen der Suche in Folge des gerichtlichen Hinweises aufgefunden worden. Einzige Erklärung hierfür sei, dass die gelben Postkisten - wie zuletzt häufiger - derart vollgefüllt waren, dass die oberen Postsendungen bereits über den Rand des Postkastens hinausragten.
Auf den weiteren Hinweis des Vorsitzenden des OLG, dass es an einer Glaubhaftmachung der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragenen Tatsachen ebenso fehle wie an substantiiertem Vortrag u.a. dazu, wann und von wem die Berufungsbegründungsschrift in einen Umschlag getan, frankiert und in das Postausgangsfach gelegt worden sein soll, hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten vorgelegt, wonach dieser den Schriftsatz am Nachmittag des 8.9.2015 unterschrieben und die Versendung an das Gericht veranlasst habe. Die Berufungsbegründung sei für den Postversand frankiert und ins Postfach gelegt worden. Dies sei ihm von seinem Personal versichert worden. Offensichtlich sei der Brief mit der Berufungsbegründung hinter den Schrank gerutscht. Zwar könnten eigentlich keine Briefe hinter das Regal gelangen. Allerdings sei es in letzter Zeit häufiger vorgekommen, dass die Postkisten derart vollgefüllt waren, dass die oberen Postsendungen bereits über den Rand des Postkastens hinausragten.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.11.2015 lehnte das OLG die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und verwarf die Berufung als unzulässig. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Berufung rechtzeitig zu begründen. Vielmehr stünden Versäumnisse seiner Prozessbevollmächtigten im Raum, die sich der Kläger zurechnen lassen müsse. Der Kläger habe nicht ausreichend konkret dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründungsschrift in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten am 8.9.2015 zum Postversand fertig in das Postausgangsfach gelegt worden sei. Es fehle insoweit an einer lückenlosen Darlegung des Ablaufs, nämlich wann und von wem die Berufungsbegründung in einen Umschlag getan, frankiert und in das Postausgangsfach gelegt worden sein soll; eine Glaubhaftmachung unter Nennung von Namen von Kanzleiangestellten und Vorlage von deren eidesstattlichen Versicherungen sei nicht erfolgt. Im Übrigen - die Angaben des Klägers als ausreichend konkret zugrunde gelegt - liege aufgrund der bekannten Überfüllung der Postabholkiste ein dem Kläger zurechenbares Organisationsverschulden vor.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG geht zutreffend davon aus, dass der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, dass ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung, das dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist und die Wiedereinsetzung ausschließt (§ 233 S. 1 ZPO), nicht vorliegt.
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Der Prozessbevollmächtigte muss durch organisatorische Maßnahmen gewährleisten, dass für den Postversand vorgesehene Schriftstücke zuverlässig auf den Postweg gebracht werden. Zu diesem Zweck hat er eine Ausgangskontrolle zu organisieren, die einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet. Geht ein fristgebundener Schriftsatz verloren, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die Partei auf der Grundlage einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe zur Post glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist.
Danach liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hier nicht vor. Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers und die eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten lassen - trotz entsprechenden Hinweises durch den Vorsitzenden des OLG - bereits einen lückenlosen Vortrag dazu vermissen, wann und von wem die Berufungsbegründungsschrift versandfertig gemacht und in die Postausgangskiste gelegt worden ist. Es fehlt auch an hinreichender Glaubhaftmachung; der Hinweis des Prozessbevollmächtigten auf die ihm insoweit erteilte Auskunft durch das "Personal" ist erkennbar ungenügend.
Zutreffend hat das OLG zudem ein dem Kläger zurechenbares Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten darin gesehen, dass nach dessen Schilderung die Postkisten bereits in der Vergangenheit häufiger derart vollgefüllt gewesen seien, dass die oberen Postsendungen bereits über den Rand des Postkastens hinausragten. Der Prozessbevollmächtigte wäre gehalten gewesen, zumindest eine weitere Postkiste vorzuhalten bzw. organisatorisch hierauf hinzuwirken. Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, dem Kläger könne ein Verschulden während des Transportvorgangs nicht zugerechnet werden, verkennt sie, dass der Schriftsatz vorliegend noch im organisatorischen Verantwortungsbereich des Prozessbevollmächtigten, hinter dessen Regal die Berufungsbegründung gerutscht war, und nicht erst auf dem Transport durch die Post verlustig gegangen ist. Aus der Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Verlust von fristwahrenden Schriftstücken auf dem Postweg kann die Rechtsbeschwerde daher nichts herleiten.
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