16.10.2017

Privatkassen müssen auch ledigen Frauen Kosten für künstliche Befruchtung erstatten

Anders als der Gesetzgeber, der bei der Gestaltung der Leistungspflichten der gesetzlichen Krankenversicherung andere - etwa gesellschaftspolitische - Erwägungen anstellen kann, verfolgt der private Krankenversicherer ausschließlich wirtschaftliche Interessen. Vor diesem Hintergrund ist die Unterscheidung zwischen verheirateten und unverheirateten Versicherten mit Kinderwunsch aber willkürlich und die Vertragsbestimmung damit unwirksam.

OLG Karlsruhe 13.10.2017, 12 U 107/17
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist bei der Beklagten privat krankenversichert. Sie kann zwar auf natürlichem Wege schwanger werden, leidet jedoch an einer chromosomalen Veränderung aufgrund derer die Wahrscheinlichkeit für eine intakte Schwangerschaft bzw. für ein gesundes Kind bei unter 50 % liegt.

Die Beklagte übernimmt laut ihren Versicherungsbedingungen Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung aufgrund von organisch bedingter Sterilität für insgesamt drei Behandlungsversuche bei hinreichender Erfolgsaussicht. Allerdings besteht der Anspruch nur, wenn die versicherte Person verheiratet ist und ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden.

Die Klägerin hatte vor ihrer Heirat einen Versuch zur künstlichen Befruchtung mit In-vitro-Fertilisation einschließlich von Behandlungsmaßnahmen zum Ausschluss genetischer Schädigungen durchführen lassen. Dieser voreheliche Behandlungsversuch verursachte Kosten i.H.v. 11.771 € und war erfolglos. Die Versicherung hielt die Beschränkung auf Verheiratete unter Hinweis auf eine ähnliche Bestimmung für gesetzlich Versicherte für wirksam und verweigerte die Kostenerstattung. Außerdem machte sie geltend, dass die Klägerin grundsätzlich auf natürlichem Wege schwanger werden könne und damit nicht organisch steril sei.

Die Klägerin verlangte daraufhin die Erstattung der Kosten der vorehelichen Behandlung auf gerichtlichem Wege und wollte zudem festgestellt wissen, dass die private Krankenversicherung eine Pflicht zur Erstattung weiterer Behandlungsversuche trifft. Das LG wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG das Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Allerdings wurde die Revision zum BGH zugelassen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der vorehelichen Behandlung. Die Beschränkung der Kostenerstattung auf verheiratete Versicherte in allgemeinen Versicherungsbedingungen ist unwirksam.

Anders als der Gesetzgeber, der bei der Gestaltung der Leistungspflichten der gesetzlichen Krankenversicherung andere - etwa gesellschaftspolitische - Erwägungen anstellen kann, verfolgt der private Krankenversicherer ausschließlich wirtschaftliche Interessen. Vor diesem Hintergrund ist die Unterscheidung zwischen verheirateten und unverheirateten Versicherten mit Kinderwunsch aber willkürlich und die Vertragsbestimmung damit unwirksam. Die Beschränkung des Anspruchs auf insgesamt drei Versuche ist hingegen wirksam.

Die Klägerin hat auch Anspruch auf die Erstattung der in ihrem Fall gesetzlich zulässigen Behandlungsmaßnahmen zum Ausschluss genetischer Schädigungen der Eizellen bzw. des Embryos. Die bei der Klägerin vorhandene genetische Veränderung beeinträchtigt, auch wenn die Klägerin auf natürlichem Wege schwanger werden kann, aufgrund des hohen Risikos eines Scheiterns der Schwangerschaft bei genetischer Schädigung der Eizelle ihre Fortpflanzungsfähigkeit und stellt damit eine Krankheit der Klägerin dar.

Da sowohl die Frage, ob eine Begrenzung der Leistung für künstliche Befruchtung auf Verheiratete als auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen private Krankenversicherer Maßnahmen der Vorimplantationsdiagnostik erstatten müssen, bislang nicht höchstrichterlich geklärt sind, wurde die Revision zum BGH zugelassen.

OLG Karlsruhe PM vom 16.10.2017